Abschied vom Fliegen

07. November 2020 | Flugverkehr, Klimaschutz, BUNDzeit-Artikel

Kein anderer Treiber der globalen Erhitzung wuchs vor Corona so stark wie der Luftverkehr. Damit die Reisebranche nicht erneut diesen zerstörerischen Pfad einschlägt, muss die Politik eingreifen. Und Urlaubende sollten sich sehr genau überlegen, wie sie reisen wollen.

Nach vielen Pannen ist jetzt der neue Flughafen BER in Betrieb. Allerdings lenken Baumängel und geplatzte Zeitpläne von den eigentlichen Skandalen ab, die mit diesem Flughafenneubau verbunden sind: Dass von den Steuerzahler*innen erwartet wird, nicht nur 6,5 Milliarden für den Bau, sondern aktuell eine weitere halbe Milliarde für den laufenden Betrieb hinzublättern, weil sonst 2021 die Insolvenz droht. Und dass für den neuen, stadtnahen Großflughafen nur ein minimales Nachtflugverbot von Mitternacht bis fünf Uhr für reguläre Linienflüge gilt.

Der größte Skandal ist aber, dass die beiden Länder und der Bund als Betreiber des Flughafens den Eindruck erwecken wollen, die staatlich hoch subventionierte Fliegerei habe nichts mit der globalen Erhitzung zu tun. Das „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm“ (BEK) von 2017 berücksichtigt die Flugreisen von und nach Berlin bilanziell ausdrücklich nicht, weil der BER auf Brandenburger Gebiet liegt. Der für Brandenburg immer noch geltende „Maßnahmenkatalog zum Klimaschutz“ von 2008 (!) verweist beim Flugverkehr auf die Bundesebene. Und die Bundesregierung wollte in ihrem letzten Luftverkehrskonzept von 2017 den Verkehr über den Wolken ankurbeln und dafür die Luftverkehrssteuer abschaffen, die sie diesen April deutlich erhöht hat. Das immerhin ist ein Fortschritt.

Nur jede*r Zehnte fliegt

Dabei ist unstrittig: Fliegen verstärkt den Treibhausprozess. Im Jahr 2018 stammten weltweit 2,8 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Luftverkehr. Das klingt zunächst nicht nach allzu viel. Anders sieht es aus, sobald man die Nicht-CO2-Effekte berücksichtigt. Während des Flugs stoßen die Triebwerke nicht nur CO2, sondern auch Rußpartikel, Wasserdampf, Schwefeloxide und Stickoxide aus. Deren Wirkung wird auf fast das Dreifache der CO2-Emissionen geschätzt. Demnach ist der Luftverkehr für rund acht Prozent der globalen Erhitzung verantwortlich – und das obwohl neun Zehntel der heute lebenden Menschen noch nie geflogen sind. Ein einziger Flug kann den Klimafußabdruck von ansonsten ökologisch bewusst lebenden Menschen ordentlich versauen.

Seit Anfang der Neunzigerjahre steigerte der Luftverkehr in Deutschland seine Emissionen um 117 Prozent. Alle Prognosen vor Corona sahen auch für die Zukunft deutliche Wachstumsraten, so gingen Studien im Auftrag des Umweltbundesamtes davon aus, dass die CO 2-Ausstöße bis 2050 um 45 Prozent wachsen – und das bei einer unterstellten Effizienzsteigerungen der Flugzeuge.

Wachstum ist kein Naturgesetz

Auch beim BER richten sich die Augen zu vieler Betrachter*innen auf das scheinbar unvermeidbare Wachstum des Luftverkehrs. Reichen die Kapazitäten des neuen Flughafens, fragen nicht nur diejenigen, die Stimmung für den Weiterbetrieb von Tegel machen. Dabei lautet die entscheidende Frage doch: Wie stoppen wir den Wachstumswahnsinn?

In Großbritannien gelang Klimaschützer* innen Anfang des Jahres ein beispielloser Coup. Der Flughafen London-Heathrow darf keine dritte Startbahn bauen, weil dies mit den Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar ist, entschied ein Berufungsgericht auf Antrag der BUND-Schwesterorganisation Friends of the Earth.
Angesichts der Corona-Krise dürfte sich das Thema „dritte Startbahn“ am BER erst einmal erledigt haben. Trotzdem bleibt der Flughafen ein Klima- und Krachproblem. Um den Lärm zu mindern, fordert der BUND, das Nachtflugverbot auf die Zeit von 22 bis 6 Uhr auszuweiten und für Flüge in den angrenzenden Tagesrandzeiten spürbar höhere und nach Lärmausstoß differenzierte Startund Landeentgelte festzusetzen.

Bislang setzt die Flughafengesellschaft die Gebührengestaltung nur zu „verkaufsfördernden Maßnahmen“ ein, sprich: um mit Nachlässen von bis zu 100 Prozent neue Flugverbindungen zu etablieren. Diese Praxis müssen Berlin, Brandenburg und Bund als BER-Gesellschafter dringend beenden. Gebühren sollen vielmehr die kompletten Bau-, Betriebs- und Lärmkosten abdecken.

Geld regiert die Flugwelt

Statt den Prognosen hinterher zu bauen, müssen der Bund und die beiden Länder endlich ein Luftverkehrskonzept erarbeiten, das ein klares Ziel hat: Kurzstreckenflüge auf die Schiene zu verlagern und das Fliegen mit seinen tatsächlichen Umwelt- und Lärmkosten zu belasten. Der BUND hat schon längst ein solches Konzept vorgelegt. Bis heute weisen Berlin, Brandenburg und der Bund die Flughafengesellschaft via Aufsichtsrat an, „keine Verkehre abzulehnen“. Dabei könnten ICE-Fahrten bis zu 50.000 innerdeutsche Flüge im Jahr von und nach Berlin ganz ohne Komfortverlust ersetzen. Auch Reisen in die europäischen Nachbarstaaten könnten viel häufiger per Bahn stattfinden, wenn sich die Politik auf nationaler und EU-Ebene für den (Wieder-)Aufbau eines europäischen Bahn- und vor allem Nachtzugsystems engagierte: niedrigere Trassenpreise, Geld für neues Rollmaterial, steuerliche Gleichbehandlung mit dem Flugverkehr.

Die halbherzige Einbindung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel hat nichts gebracht, weil 85 Prozent der Zertifikate kostenlos ausgegeben wurden. Sinnvoll wäre eine weitere internationale Kerosinsteuer und hilfsweise eine deutliche Erhöhung der Luftverkehrssteuer. Denn genau dieses Signal brauchen die Reisenden: Fliegen ist ein Privileg, das man, wenn überhaupt, nur höchst selten beanspruchen sollte.

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 20-4. Mehr zum Thema Fliegen:

Nightjet statt Easyjet: Wie viele Flüge von und nach Berlin sich auf die Schiene verlagern lassen. Weiterlesen ...

„Seltener reisen, aber länger bleiben“: Antje Monhausen, Leiterin der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt, über den Trend zur Drittreise, Arbeitsbedingunen in der Tourismusbranche und Instagramability als Kriterium der Reiseplanung. Weiterlesen ...

Ökotipp: Flüge kompensieren. Weiterlesen ...

Fliegen in Zahlen. Weiterlesen ...

Flughafenkonzept
Wie viele Flüge sich von und nach Berlin-Brandenburg einsparen ließen, hat der BUND in seinem Flughafenkonzept für die Region errechnet. Außerdem schlägt das Konzept eine lärmdifferenzierte Landegebührenordnung vor und erörtert, wie die Berliner Flughafengesellschaft mit anderen Flughafenbetreibern kooperieren kann, um etwaige Engpässe auszugleichen und Zubringerflüge zu vermeiden. Zum BUND-Flughafenkonzept

NGO-Konzept
Wie Wettbewerbsnachteile der Schiene gegenüber dem Luftverkehr ordnungsrechtlich abgebaut werden können, welche Lenkungsmöglichkeiten die Politik auf nationaler Ebene nutzen sollte, um externe Kosten der Fliegerei den Verursachern anzulasten und warum sogenanntes Bio-Kerosin keine Lösung ist, steht im NGO-Luftfahrtskonzept, das der BUND mit anderen Verbänden erarbeitet hat. Zum NGO-Luftfahrtskonzept

Überflüssige Regionalflughäfen
Sie rechnen sich nur dank üppiger Subventionen, sind für die regionale Wirtschaft verzichtbar und tragen zur globalen Erhitzung bei: Den 14 Regionalflughäfen in Deutschland stellt eine Studie von BUND und Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft ein miserables Zeugnis aus. Im Durchschnitt liegen die Regionalflughäfen nur 90 Bahnminuten von internationalen Flughäfen entfernt und dienen fast ausschließlich Urlaubsflügen. Nur zwei von ihnen erwirtschaften nach Abzug der staatlichen Beihilfen Gewinne. Der BUND fordert, die Hälfte der 14 Regionalflughäfen sofort zu schließen. Zur BUND-Regionalflughafenstudie 

Mit dem Zug nach Istanbul
Klimafreundlich in die Türkei reisen geht nicht? Geht wohl! Lesen Sie den Reisebericht im BUND-Blog!

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