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Auf dem Betonweg

15. Mai 2021 | Autoverkehr, Bauen, BUNDzeit-Artikel, Infrastruktur, Klimaschutz, ÖPNV, Verkehr

Autobahnen, Schnellstraßen, Ortsumgehungen, U-Bahnen: In Brandenburg und Berlin setzen die Regierungen auf die Verkehrsinfrastruktur des 20. Jahrhunderts. Und ignorieren, dass allein schon das betonintensive Bauen die globale Erhitzung verstärkt.

Im Juni 2020 ist in Berlin-Biesdorf ein Ufo gelandet. Das ringförmige, grün schimmernde Objekt mit einem Durchmesser von mehr als 30 Metern scheint einige Meter über dem Boden zu schweben, in der Mitte klafft ein großes Loch. Natürlich ist es kein Ufo. Es ist auch nicht in Biesdorf, sondern in der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Mitte gelandet. Genauer gesagt, in den Planungsunterlagen zur Tangentialen Verbindung Ost (TVO). Dort, wo die geplante Schnellstraße zwischen Hellersdorf-Marzahn und Köpenick auf die B 1/B 5 stößt, wollen die Planer*innen der zweistöckigen Straßenkreuzung eine dritte Etage aufsetzen: einen Kreisverkehr für Radfahrende und Zufußgehende.

Das Biesdorfer Ufo zeigt, wie sehr sich die grün geführte Verkehrssenatsverwaltung bemüht, es allen recht zu machen. Der Ausbau der Berliner Fahrradinfrastruktur geht bekanntlich nur langsam voran, da bietet die TVO die Möglichkeit, neben der Autoschnellstraße gleich mehrere Kilometer Fahrradschnellweg zu bauen, garniert mit einer sicheren, weil autofreien Kreuzung. Und auf den Bau des Betonmonsters TVO hatten sich die Grünen mit der sich immer stärker als Autopartei verstehenden SPD im Koalitionsvertrag 2016 auf den Bau der TVO geeinigt, weil die im Gegenzug auf den 17. Bauabschnitt der A 100 vom Treptower Park nach Lichtenberg verzichtete.

Straßenbau als völkerrechtliches Problem

Allerdings werden nach den Wahlen im September die Karten neu gemischt. Wie die Konstellationen in Berlin und im Bund auch aussehen, die nächsten Regierenden werden die Infrastrukturpläne neu bewerten müssen. Im Fall der TVO spricht zu viel gegen den Bau: Braucht der prognostizierte Verkehr eine vierspurige Straße? Lockt die Schnellstraße zusätzlichen Verkehr an? Vor allem die Lkw vom Berliner Ring dürften die mautfreie Abkürzung über die TVO dankend annehmen.

Sollte statt der TVO nicht besser die als „Nahverkehrstangente“ diskutierte S-Bahn parallel zur bestehenden Bahnstrecke gebaut werden? Rechtfertigt die Entlastung einiger Anwohner*innen in den umliegenden Wohnstraßen die Zerschneidung der Wuhlheide? Sollen 15 Hektar Waldfläche mit uralten Bäumen geopfert werden? Und wie passt der Straßenbau zu der völkerrechtlich bindenden Verpflichtung, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen?

Eine Straße zu bauen, ist nicht allein wegen des darauf stattfindenden Autoverkehrs ein Klimaproblem. Selbst wenn alternative Antriebe irgendwann eine CO2-neutrale Fortbewegung ermöglichen sollten, wovon sie weit entfernt sind, bleibt der Bau mit hohem Treibhausgasausstoß verbunden. Schuld daran ist der Energieaufwand bei der Betonproduktion: Bei über 1.400 °C muss Kalkstein zu Klinker gebrannt werden, Verfahren mit niedrigeren Temperaturen sind noch nicht in Sicht. Zudem entsteht bei der Entsäuerung des Kalksteins zwangsläufig CO2. Weltweit ist die Zementproduktion für acht Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich; wäre die Zementindustrie ein Staat, so belegte sie hinter China und den USA Platz drei in der Liste der CO2-Emitenten. Und dies berücksichtigt noch nicht den Stahl, ohne den Brücken und Tunnel nicht möglich wären.

Bau-Moratorium jetzt

Zement- und Stahlproduktion sind höchst energieintensiv, das ist bekannt. Dennoch planen die Regierungen von Berlin und Brandenburg ein gutes Dutzend neuer Betontrassen, die total aus der Zeit gefallen sind. Wozu noch neue Straßen bauen, wenn doch klar ist, dass der Verkehr abnehmen muss? Der BUND fordert für alle Verkehrsprojekte eine ehrliche Klimabilanz unter Berücksichtigung der Betonherstellung – und dann nur noch zu bauen, was wirklich unverzichtbar ist.

Im Gegensatz zu Straßen können neue Bahnstrecken einen Klimanutzen haben, wenn ihretwegen Autofahrten auf die Schiene verlagert werden. Wie hoch er ist, hängt maßgeblich vom Energieeinsatz beim Bau ab. Eine vom BUND mitherausgegebene Studie zeigt, dass der Beton- und Stahlbedarf beim Tunnelbau so groß ist, dass sich die derzeit in Berlin diskutierten neuen U-Bahnstrecken erst nach über 100 Jahren klimatechnisch amortisieren. So viel Zeit haben wir nicht mehr.

Um die globale Erhitzung auf ein gerade noch beherrschbares Maß zu begrenzen, muss die Verkehrswende auf Intelligenz statt Beton setzen: Flächenumverteilung statt Neubau, mehr Platz für Fuß- und Radverkehr, Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen, neue Züge, Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, Bahnstreckenneubau primär oberirdisch und nur bei hohem Klimanutzen. Für all dies legen die Umweltverbände seit Jahren detaillierte Konzepte vor.

Innovationsschub aus Brandenburg?

In Brandenburg könnte deren Umsetzung nun näher rücken. Nachdem die Volksinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt!“ deutlich mehr als die nötigen 20.000 Unterschriften gesammelt hatte, musste sich der Landtag damit beschäftigen. Ob die rot-schwarz-grüne Koalition wesentliche Teile der Volksinitiative übernimmt und ein Mobilitätsgesetz nach Berliner Vorbild auf den Weg bringt, ist noch nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen. So oder so: Auch im dünnbesiedelten Flächenland Brandenburg gibt es Aufwind für die umweltfreundlichen Mobilitätsformen. Gleichzeitig, das lehrt die Erfahrung aus Berlin, schützt ein Mobilitätsgesetz nicht vor parallel betriebener Betonpolitik. Die Verkehrswende steht noch ganz am Anfang.

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2021-2. Mehr zum Titelthema „Betonpolitik“:

Elfmal Beton: Übersicht der umstrittenen Straßenbauprojekte in Brandenburg und Berlin

„Die Tram ist um ein Vielfaches günstiger“: Matthias Dittmer und Axel Schwipps von der Initiative „Stadt für Menschen“ über den Energieeinsatz beim U-Bahnbau, Alternativen zu Stahl und Beton und einen letzten sinnvollen Tunnel für Berlin

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