Für manche Zeitgenoss*innen begann das neue Jahrtausend bereits im Herbst 1998, als die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene die scheinbar ewige Regentschaft Helmut Kohls beendete, die wie Mehltau auf dem Land klebte. Doch was tat die bis 2005 regierende Koalition unter Gerd „Nach sechs Pfennig ist Ende der Fahnenstange“ Schröder für den ökologischen Umbau der Bundesrepublik? Die Ökosteuer fiel mit um drei Cent verteuertem Benzin sehr bescheiden aus, dafür führte das EEG von 2000 zu einem Boom der erneuerbaren Energien. Das als Künast-Siegel bekannt gewordene staatliche Siegel brachte ökologisch hergestellte Lebensmittel aus der Bionische auf den Massenmarkt. Und der mühevoll ausgehandelte Atomausstieg bewies, dass ein solcher Systemwechsel ohne horrende Entschädigungszahlungen möglich ist; allerdings machte ihn Angela Merkel als nachfolgende Bundeskanzlerin mühelos rückgängig. In der Infrastrukturpolitik blieb abgesehen vom Transrapid-Aus alles beim Alten. Naturzerstörende, klimafeindliche und unfassbar teure Großprojekte wie die Verlängerung der Autobahn A 100 nach Neukölln und der Ausbau von Havel und Spree („Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17“, 1999 gestoppt) hielten den BUND in der Region weiter auf Trab.
Enorme Ausgaben für einzelne Vorhaben bei gleichzeitigem Rückzug des Staats aus vielen Bereichen (Stichwort Einstellung des Schienenverkehrs im ländlichen Raum): Die Nullerjahre markierten den Höhepunkt der neoliberalen Marktideologie in Deutschland. Berlin traf dies gleich doppelt, weil der Stadtstaat zusätzlich mit milliardenschweren Folgen eines Bankenskandals (Stichwort Landowsky) zu kämpfen hatte. Bis heute wirken die Einschnitte, die Klaus „Sparen bis es quietscht“ Wowereit am öffentlichen Dienst vornahm: Straßenbäume werden kaum gepflegt, geschweige denn nachgepflanzt, Schutzgebiete nicht wie vorgeschrieben ausgewiesen, die altersschwachen U-Bahnen fahren unzuverlässig, für die Verkehrswende fehlen die Fachleute in den Planungsbehörden.
Wie darauf reagieren? Wenn der Staat sich seiner Handlungsspielräume beraubt, dann wenden sich die Umweltverbände eben an diejenigen, die Einfluss haben. In Berlin sprach und kooperierte der BUND mit Unternehmen, um mehr Klima- und Ressourcenschutz in der Wirtschaft zu verankern. Mit dem Berliner Umweltpreis zeichnete er nicht nur zivilgesellschaftliches Engagement, sondern auch ökologisch fortschrittliche Firmen aus. Als besonders erfolgreich erwiesen sich die Aktivitäten im Gesundheitswesen: Seit 2001 zeichnete der BUND 47 Einrichtungen mit dem Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ aus, das sind 2,3 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland. Bis 2020 senkten diese Kliniken ihren CO2-Ausstoß zusammen um 70.000 Tonnen pro Jahr.
In Brandenburg war zu Beginn der Nullerjahre die Aufbruchsstimmung der Nachwendezeit längst verflogen. Der anlässlich des Oderhochwassers 1997 von seiner PR-Abteilung zum „Deichgrafen“ geadelte Umweltminister Matthias Platzeck stieg zum Ministerpräsident einer rot-schwarzen Koalition auf, die sich bedingungslos der Braunkohleförderung und -verstromung verschrieb. Naturschutz galt dieser Regierung zunehmend als Wirtschaftshemmnis, „Entbürokratisierung“ als Zaubermittel der wirtschaftlichen Genesung – das in der Praxis vor allem den Bau von Stegen in den märkischen Seen erleichterte, aber nicht die versprochenen Arbeitsplätze brachte. Passend dazu legte Platzeck das Umwelt- mit dem Landwirtschaftsministerium zusammen, sehr zum Gefallen der organisierten Bauernschaft. Geführt wurde das Ressort von Wolfgang Birthler (SPD). Dieser zuckte, als ihn BUND-Aktive mit Widersprüchlichkeiten seiner Politik konfrontierten, einfach die Schultern und bemerkte, er sei machtlos, „die da oben“ machten doch, was sie wollten …
Allmählich wurde klar: Allein mit klassischer Lobbyarbeit, für die der BUND seine Brandenburger Geschäftsstelle 2003 von Frankfurt (Oder) nach Potsdam verlegt hatte, konnte man die verkrusteten politischen Strukturen nicht aufbrechen. 2008 initiierte der BUND das Volksbegehren „Keine neuen Tagebaue“. Es erhielt zwar nicht die nötige Zahl von Unterschriften, verankerte das Thema aber in der öffentlichen Diskussion. Und es zeichnete den Weg vor, den die Umweltbewegung in den Zehnerjahren nehmen sollte: In so wichtigen Zukunftsfragen, wie sie Umweltthemen eben sind, muss der Souverän mitreden.
Fortsetzung: Die Zehnerjahre: Unterschriftenmarathon und juristische Finesse
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2021-1. Mehr zum Schwerpunktthema „30 + 40 Jahre BUND in Brandenburg und Berlin“:
Die Achtzigerjahre: Frischluftschneisen statt Lärmkorridore
Die Neunzigerjahre: Aufbruchsstimmung im Osten, Professionalisierung im Westen