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„Die Stadtgesellschaft muss mitreden“

15. Mai 2023 | BUNDzeit-Artikel, Energiewende, Klimaschutz, Umweltgerechtigkeit

Jessamine Davis von der Initiative „Klimaneustart Berlin“, die den Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“ am 26. März angeschoben hat, über Diskussionen um das Auto, klare Botschaften und neue Beteiligungsformen

Jessamine Davis, 32, ist Campaignerin und Sprecherin bei Klimaneustart Berlin. Die gebürtige Engländerin lebt seit 13 Jahren in Berlin.

Nachdem die Innenverwaltung durchgesetzt hatte, dass der Volksentscheid nicht zusammen mit der Wiederholungswahl stattfindet, war klar, dass das Quorum von 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten eine Herausforderung wird. Aber hattest du mit fast 49 Prozent Nein-Stimmen gerechnet?

Jessamine Davis: Wir haben mit 442.210 Ja-Stimmen mehr Stimmen bekommen als jede Partei bei der Wiederholungswahl. Wir hatten zwar mit mehr Nein-Stimmen gerechnet als bei anderen Volksentscheiden, weil das Thema polarisiert. Trotzdem war die Menge der Nein-Stimmen eine Überraschung. Unabhängig vom Ergebnis war es aber ein Erfolg, dass sich so viele Menschen in der Stadt beteiligt haben und bei der Klimapolitik mitgeredet haben.

Welche Motive siehst du hinter den Nein-Stimmen?

An erster Stelle gibt es viele Ängste. Unser Job bei der Unterschriftensammlung in den letzten Jahren war es, mit den Menschen auf Augenhöhe zu sprechen und ihnen die Ängste zu nehmen. Wir haben immer wieder auf Studien hingewiesen, die zeigen, dass die Kosten sinken, wenn wir Energie klimaneutral und lokal erzeugen und wenn die Gebäude saniert sind. Wir haben auch gesagt, dass später die Kosten höher sind, wenn wir jetzt nicht handeln. Aber es gibt viele Akteur*innen, die keine Energiewende wollen. Und so hat sich das Narrativ etabliert, dass die Energiewende viel Geld kostet. Wie auch bei der Wiederholungswahl hat das Auto eine große Rolle gespielt; außerhalb des S-Bahnrings sind viele darauf angewiesen, das haben wir auch nicht bestritten.

In eurem Gesetzesentwurf stand nichts von Mobilität, geschweige denn vom Auto …

Bei den Diskussionen auf der Straße und bei Interviews, vor allem in der Springer-Presse, ging es oft sofort um das Auto. Und wir müssen ehrlich darauf antworten: Wenn die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 95 Prozent sinken sollen, müssen wir die Zahl der Autos reduzieren und weitgehend auf Elektromobilität umsteigen. Es muss aber Ersatzangebote geben und es muss sozial gerecht umgesetzt werden.

CO2-Einsparungen in die Hand des Senats legen. Habt ihr wirklich so viel Vertrauen in die Weisheit der Regierenden?

Auf nationaler Ebene gibt es die Verpflichtung auf das 1,5 Grad-Ziel. Da völlig klar und wissenschaftlich bewiesen ist, dass das Berlin zustehende Emissionsbudget bis 2030 aufgebraucht ist, muss diese Verpflichtung auch ins Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz. Mit einer Klimaneutralität bis 2045 schaffen wir es nicht, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Deshalb wollten wir das Reduktionsziel klar verankern. Aber konkrete Maßnahmen wollten wir nicht im Gesetz, weil die Stadtgesellschaft mitreden muss. Es muss einen repräsentativen Querschnitt geben, der mitredet – und hier kommt der Klimabürger*innenrat ins Spiel.

Was hat es mit dem Klimabürger*innenrat auf sich?

Weil die Klimakrise alle betrifft und wir alle Perspektiven zur Lösung brauchen, haben wir als Klimaneustart 2030 eine Volksinitiative zur Einberufung eines Klimabürger*innenrats gestartet, die das Abgeordnetenhaus angenommen hat. 100 Bürger*innen wurden ausgelost: Leute aus allen Altersstufen, allen Bezirken, mit verschiedenen Bildungsabschlüssen, mit und ohne Migrationshintergrund, eine Art Mini- Berlin. Die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen waren ambitionierter als es der bisherigen Klimapolitik entsprach. Zum Beispiel wurde eine emissionsfreie Innenstadt bis 2030 empfohlen. Wenn Menschen relevante Informationen von Expert*innen bekommen und beteiligt werden, wie es beim Klimabürger*innenrat der Fall war, dann sind sie bereit für adäquate Maßnahmen. Es ist eine Frage der Kommunikation – und die Politik hat keine klare Kommunikation in Klimafragen. Es fehlt die klare Botschaft: „Liebe Leute, unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Wir können das Problem aber lösen, wenn wir alle an einem Strang ziehen und wenn wir unsere Stadt klimaneutral und sozial gerecht umbauen.“ Es braucht beide Botschaften: Was auf uns zukommt und was wir gemeinsam tun können.

„Berlin klimaneutral 2030“ hat auch Kritik von links bekommen. Vermieter*innen könnten von höheren Nebenkosten profitieren, außerdem wurde die Unterstützung von Unternehmer*innen moniert. Muss die Klimabewegung zum Kapitalismus Stellung beziehen?

Als Klimaneustart Berlin stellen wir grundsätzlich das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage, weil es auf Ausbeutung von Menschen und Natur basiert. Unendliches Wachstum ist nicht mit Klimagerechtigkeit und einem lebenswerten Planeten vereinbar. Aber das lösen wir nicht mit einer Kampagne auf. Uns war es wichtig, mit der Wirtschaft zu sprechen, weil wir zeigen wollten, dass die Senkung von CO2-Emissionen kein grünes Nischenprojekt ist. Zum komplexen Problem mit den Mieten: Viele Fachleute haben uns gesagt, dass es keine optimale Lösung gibt. Unsere erste Priorität war, die Mieter*innen nicht zu belasten. Wir wollten immer, dass bezahlbare Mieten und Klimaschutz in Einklang gebracht werden. Das haben wir nicht optimal mit dem Gesetz gelöst, daher arbeiten wir mit verschiedenen Akteur*innen weiterhin gemeinsam an politischen Lösungen.

Was empfiehlst du anderen Initiativen, die Klimaschutz per Volksgesetzgebung anstreben?

Ein breites Bündnis ist wichtig. Man muss sich bewusst sein, dass viele Zielgruppen angesprochen werden müssen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Klimakrise aufzuhalten. Außerdem: Nicht aufgeben! Wir haben nicht vor aufzugeben. Man kann schließlich nicht mit der Natur verhandeln, die Klimakrise kommt. Daher ist es für alle Menschen in Berlin schade, dass der Volksentscheid nicht erfolgreich war. Auch diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, werden von der Klimakrise betroffen sein.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2023-2.

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