„Glücklicherweise hilft der Biber“

11. August 2024 | BUNDzeit-Artikel, Wasser, Stadtnatur

Ökohydrologin Dörthe Tetzlaff über die Fingerabdrücke von Wasserisotopen, den Naturzustand der Spree und die Bedeutung von Landschaftsmosaiken

Dörthe Tetzlaff ist seit 2017 Professorin für Ökohydrologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiterin der Abteilung Ökohydrologie und Biogeochemie am IGB Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Davor war sie über zehn Jahre lang Professorin an der Universität in Aberdeen, Schottland. Foto: David Ausserhofer

Frau Prof. Dr. Tetzlaff, reichen die ausgiebigen Niederschläge aus dem vergangenen Herbst und Winter schon, um das Defizit von sechs Dürrejahren auszugleichen?

Dörthe Tetzlaff: Ganz klar nein. Wir haben berechnet, dass es fast vier Jahre gleichmäßig verteilten Durchschnittsjahresniederschlag bräuchte, um die Grundwasserstände nach der extremen Dürre in 2018 und dann 2022 wieder zum Normalstand zu führen. Davon sind wir noch weit entfernt. Generell sehen wir deutschlandweit und besonders in Brandenburg klimawandelbedingte negative Grundwassertrends, weil sich nicht nur die Menge, sondern vor allem die Verteilung der Niederschläge geändert hat. Klimaprojektionen sagen sogar eine weitere Verringerung von 10 bis 20 Prozent unserer Niederschläge für die nächsten Jahrzehnte vorher.

Wie lange dauert die Grundwasserneubildung?

Grundwasserneubildung in unserer Region benötigt drei bis zehn Jahre, abhängig von der Tiefe der ungesättigten Zone. Das Grundwasseralter schwankt von wenigen Jahren bis zu mehreren Jahrzehnten.

Sie entwickeln mit Ihrem Team sogenannte Tracing-Methoden, um den Weg des Wassers durch Landschaft, Boden und Atmosphäre zu verfolgen. Worum geht es da?

Stabile Wasserisotope eignen sich wunderbar als Tracer, da sie Bestandteil des Wassermoleküls sind. Sie kommen also natürlich in unserer Umwelt vor und wir können sie in allen Wässern messen, ob das im Niederschlags-, Boden-, Grund-, Oberflächen- oder Pflanzenwasser ist. Wir können die Isotope wie einen Fingerabdruck des Wassers interpretieren und nachverfolgen, wo es langgeflossen ist, wie lange es gespeichert war und wo seine Herkunftsquellen sind. So können wir etwa herausfinden, wie viel das Grundwasser zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Wasser eines Flusses beiträgt oder wie viel Wasser von einem Niederschlag stammt, der am letzten Wochenende gefallen ist. Und wir können sehen, welches Wasser Pflanzen aufnehmen: Ist es das Niederschlagswasser des letzten Herbstes oder das vom März? Kommt es aus den oberen Bodenschichten oder aus tieferem Grundwasser? Wenn wir all das wissen, können wir besser abschätzen, wie dürrresistent Pflanzen sind.

Wie sähe die Spree unter Naturbedingungen aus? Also ohne Tagebaue, ohne Kühlwasserentnahme, ohne landwirtschaftliche Nutzung, ohne Trinkwasserförderung?

Die spannende Frage ist ja, wie weit man zurückblickt. Fangen wir 1200 an, als die ersten Slawenstämme hier siedelten und schon Gewässer kanalisierten und erste Moore entwässerten? Geht man zurück vor die Zeit Friedrichs des Großen, der sehr weiträumig entwässern ließ und Kanalisationssysteme anlegte? Auf jeden Fall wäre und ist die Spree ein grundwasserdominiertes, langsam fließendes Gewässer, ein Tieflandfluss mit sehr geringen topografischen Gradienten, mit generell geringer Hochwassergefahr. Wir hätten wesentlich mehr Feuchtgebiete im oberen Einzugsgebiet und weite Uferzonen entlang des gesamten Flusses, was die Speicherkapazität der Landschaft enorm erhöht und damit auch den Wasserrückhalt und die langsame Abgabe des Wassers.

Es ist oft die Rede von der Schwammstadt Berlin. Bräuchte man nicht auch ein Schwammland Brandenburg? Und wie würde so eine Landschaft aussehen?

Ich persönlich bevorzuge den Begriff Speicher, weil Schwamm etwas Negatives hat. Da denken die Menschen häufig an schmutzig riechende Schwämme. Aber das Konzept ist natürlich das gleiche. Wie können wir angesichts des geringen Niederschlags, den wir in Berlin und Brandenburg haben, die Infiltrations- und Grundwasserneubildungsraten erhöhen, Wasser in der Landschaft speichern und gleichzeitig die Verdunstungsverluste minimieren? Wir brauchen die richtige Kombination von Landnutzungsmosaiken. Das bedeutet: weg von den ausgedehnten Monokulturen der Land- und Forstwirtschaft. Weitere Punkte sind neben den Feuchtgebieten und Auen, von denen wir so viele wie möglich renaturieren sollten, die landwirtschaftlichen Gräben. Die müsste man teilweise wieder schließen, um das schnelle Ableiten des Wassers von den Feldern zu unterbinden. Es gibt ein häufiges Missverständnis. Man denkt, Brandenburg hat diese sandigen Böden, die Wasser aufnehmen wie ein Schwamm. Aber viele dieser Böden haben starke hydrophobe, also wasserabweisende Charakteristiken. Das bedeutet, wenn wir immer mehr Starkregenereignisse mit sehr hohen Niederschlagsmengen in sehr kurzer Zeit erleben, ist die Infiltrationskapazität schnell überschritten. Selbst auf Sandböden sehen wir dann verstärkt Oberflächenabfluss, das Wasser läuft schnell in die Gräben und dann in die Flüsse. Außerdem ist es sehr wichtig, begradigte Flüsse und Bäche zu renaturieren, wo es möglich ist. Dabei hilft glücklicherweise der Biber.

Und im städtischen Bereich?

Auch da kommt es auf das Mosaik an, also man sollte zum Beispiel in den städtischen Grünflächen nicht nur auf Bäume, sondern auf eine Kombination von Grasflächen, Büschen, Sträuchern und Bäumen verschiedenen Alters und verschiedener Arten setzen. Ganz wichtig ist es, neue Wohngebiete nicht unmittelbar an die Kanalisation anzuschließen, sondern vor Ort Versickerungs- und Speichermöglichkeiten zu schaffen. Das passiert zum Glück in Berlin mehr und mehr.

Muss sich mit dem zurückgehenden Wasserdargebot der Spree der Umgang mit den Abwässern ändern, muss man wieder die Felder berieseln, weil es weniger Wasser zur Verdünnung gibt?

Die Technologien zur Abwasserbehandlung verbessern sich ständig, das hilft enorm. Die Rieselfelder im Norden Berlins werden auch wieder aktiver genutzt. Zusätzlich gibt es viele neue naturbasierte Lösungen, etwa Speicherbecken und Versickerungsmöglichkeiten. Aber Sie fragen ja, was geschieht, wenn kein Wasser aus den Tagebauen mehr in Richtung Berlin fließt. Ich denke, wenn das Pumpen in der Lausitz erst einmal aufhört, ist zumindest das Potenzial da, dass sich der Grundwasserspiegel erholt und wir uns der natürlichen Wasserbilanz der Spree nähern. Die Frage ist: Wie überstehen wir die Periode, bis die Tagebauseen gefüllt sind? Vor Beginn des Kohleabbaus herrschte in der Region weniger Bevölkerungsdruck. Und dass jetzt Großindustrieanlagen südlich von Berlin zugelassen werden, ist schon heikel. Es hatte ja einen Grund, warum früher alle Betriebe im Norden angesiedelt waren. Und wir sollten auch nicht vergessen, was die Einzelnen tun können: bewusster mit unserem Wasser umgehen und weniger verbrauchen, sei es im Haushalt, im Garten, in der Landwirtschaft, in der Industrie. Und es gilt mehr recyceltes Wasser zu nutzen.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2024-3. Mehr zum Schwerpunktthema Wasser:

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