Industriell gemanagte Waldidylle

11. November 2024 | BUNDzeit-Artikel, Grundwasser, Naturerleben, Stadtnatur, Wasser

Einer der schönsten Berliner Herbstspaziergänge führt entlang der Kuhlake durch den Spandauer Forst. Doch entgegen dem ersten Eindruck kann von Natur pur nicht die Rede sein.

Am östlichen Uferweg der Kuhlake zwischen Johannesstift und Oberjägerweg. Foto: Sebastian Petrich

Die ersten Meter sind nichts für schwache Nasen. Nach dem Ausstieg aus dem Bus M45 an der Endhaltestelle Johannesstift queren wir die stillgelegte Bötzowbahn, lassen das Stift rechts liegen und nehmen die erste Abzweigung von der Schönwalder Allee links in den Wald. Was hier streng riecht, ist aber nicht das braune Wasser der Kuhlake, sondern das Wildschweingehege, an dessen Zaun der Uferweg stadtauswärts beginnt. Es ist ein hübscher, abwechslungsreicher Mischwald aus Erlen, Eichen, Buchen, Birken und Kiefern, der sich entlang des Wasserlaufs erstreckt. Totholz in allen Formen und Verfallsstadien steht und liegt im Wald und im Wasser, immer wieder umspült die Kuhlake kleinste Inselchen, manche gerade groß genug für einen Baum. An einigen besonders schönen Stellen hat das Forstamt freundlicherweise Bänke und sogar Holzliegen aufgestellt.

Über den ersten Hinweis einer getrübten Idylle stolpern wir, wenn wir einen kleinen Schlenker vom Kuhlake-Uferweg auf den Oberjägerweg Richtung Südwesten machen. Dort ist normalerweise der Mittelheidesee über den Hoheheideteich mit der Kuhlake verbunden. Derzeit aber riegeln Spundwände den See hermetisch ab, der Weg am Seeufer ist gesperrt. Seit dem Spätsommer befreien die Berliner Wasserbetriebe (BWB) den Mittelheidesee von einer dicken Schlammschicht am Seeboden, die verhindert, dass Wasser im Sandboden versickert. Dazu wurden die Seebewohner (etwa 60 Kilogramm Hecht, Schleie, Plötze, Barsch, Ukelei, Güster, Rotfeder und Blei) umgesiedelt und das Wasser abgelassen. Wenn im Januar der Schlamm einigermaßen getrocknet ist, soll er auf eine Deponie gebracht werden. Auf rund 10.500 Tonnen schätzen die BWB die Schlammmenge, dazu dürften mehrere Hundert Lkw-Fahrten nötig werden.

Aber was haben die BWB überhaupt mit diesem See zu tun? Ab dem 17. Jahrhundert legte man ein Grabensystem an, um die Wiesengebiete bei Eiskeller in Richtung Havel zu entwässern. Dennoch blieb der Spandauer Forst ein feuchter Wald, der mit Teufelsbruch und Rohrpfuhl intakte Moore aufwies. Das änderte sich erst mit der Trinkwasserförderung im großen Stil, die die Grundwasserstände im Forst drastisch sinken ließ. Um weiterhin Grundwasser aus Dutzenden Brunnen fördern zu können, pumpen die BWB zur Linderung des Grundwasserdefizits seit Jahrzehnten Wasser von der Havel über die Kuhlake in den Spandauer Forst. Mittelheideteich und Hoheheideteich legten sie 2012 an, um noch mehr Wasser versickern lassen zu können.

Dieser Wassertransfer ist nicht nur für die ohnehin wasserarme Havel ein Problem, sondern auch für den Forst, der komplett Landschaftsschutzgebiet und in Teilen Naturschutzgebiet sowie FFH- und Vogelschutzgebiet ist. Und vor allem für seine Moore. Denn obwohl die Oberflächenwasseraufbereitungsanlage Spandau das Havelwasser filtriert und chemisch behandelt, bleibt es höchst nährstoffreich, was zur Eutrophierung der Moore geführt hat. Besonders problematisch ist der sogenannte Horizontalbrunnen in der Nähe der Kuhlake, der auf einen Schlag sehr viel Grundwasser fördern kann und den die BWB vor allem bei großer Nachfrage nutzen. Entsprechend schnell sinkt dabei auch der Grundwasserstand. Das beeinträchtigt die Waldbäume, die mit stark schwankenden Pegeln schlecht zurechtkommen, und auch die Moore, die aber seit Langem schon auf künstliche Wasserzufuhr angewiesen sind – und es auch bleiben, solange die Trinkwasserförderung im jetzigen Maß weitergeht. Der Spandauer Forst ist ein fragiles Ökosystem geworden, das nur dank eines quasi industriellen Managements überlebt. Langfristig hilft nur eines: mit Wasser effizienter umgehen und weniger fördern.

Zurück zur Kuhlake: Wo sie den Oberjägerweg kreuzt, können wir entweder zwei Kilometer zurück zum Johannesstift spazieren. Oder weitere zweieinhalb Kilometer stadtauswärts, zunächst zum Kreuzgraben. Haben wir ihn gequert, so erstreckt sich linker Hand eine größere Feuchtwaldfläche; hier beginnt, was vom alten Spandauer Forst übriggeblieben ist. Vorbei an der Kronprinzenbuche, wo sich ein preußischer Nachwuchsregent der Legende nach beim Löschen eines Waldbrands nützlich gemacht haben soll, erreichen wir den Eiskellerweg am früheren Todesstreifen. Von hier aus ist es ein Katzensprung bis nach Schönwalde, von wo stündlich Busse nach Spandau fahren.

Mehr zur Kuhlake im neuen BUND-Kleingewässerreport

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 4/2024.

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