Paris
Mit viel Schwung betreibt die Stadtregierung unter der Sozialistin Anne Hidalgo die Zivilisierung des Verkehrs. Seit 2015 hat sie nicht nur Teile des rechten Seineufers autofrei gemacht, sondern auch mehr als 300 Kilometer neue Radwege angelegt. Und das nicht wie anderorts auf Bürgersteigen, sondern auf den Fahrbahnen. Auf den neu mit Radspuren ausgestatteten Straßen radeln nun im Schnitt 50 Prozent mehr Menschen als zuvor. Um Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs zu steigern, wurden rund 230 Straßen in Fußgängerzonen umgewandelt und bei 150 weiteren die Bürgersteige verbreitert. Bei der Parkgebühren orientiert sich Paris an Größe und Gewicht: Seit Oktober zahlen im Stadtzentrum ortsfremde Fahrer*innen von Autos ab 1,6 Tonnen 18 Euro pro Stunde. Lange Parkzeiten machen es noch teurer, statt 108 Euro kosten sechs SUV-Parkstunden 225 Euro. Ebenfalls seit Oktober gilt auf der Stadtautobahn, der Périphérique, aus Lärmschutzgründen ein Tempolimit von 50 km/h. Zuvor waren es 70 km/h. Gleichzeitig wächst der ÖPNV. Das 1992 begründete moderne Straßenbahnnetz, das vor allem die Vorstädte erschließt, beträgt inzwischen 164 Kilometer, 65 Kilometer davon wurden seit 2020 gebaut.
Wien
Wien hat nicht nur ein gutes Tramnetz erhalten, sondern mit dem Parkpickerl die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung durchgesetzt und macht seit Jahren viel Werbung für das Zufußgehen. Fortschrittlich ist die Stadt auch bei der Anpassung an die Folgen der Klimakrise. Anders als in Berlin liegt schon ein Hitzeaktionsplan vor, der Kühlungsangebote vor allem für vulnerable Gruppen organisiert. Entsiegelung in Verbindung mit Begrünung fördert Wien mit bis zu 10.000 Euro (Bedingung unter anderem: keine torfhaltige Erde). Auch die historisch überwiegend baumfreien Straßen und Plätze der Innenstadtbezirke ergrünen langsam. Die Bürger*innen dürfen dabei mitmachen: Die Stadt vermittelt Baumscheiben zum Garteln.
Helsinki
Wenn alles nach Plan läuft, heizen ab dem Winter 2026/27 rund 30.000 Haushalte der finnischen Hauptstadt mit der Wärme, die eine einzige Großwärmepumpe erzeugt. Diese weltweit größte Wärmepumpe hat eine Wärmeerzeugungskapazität von bis zu 33 Megawatt. Als thermische Energiequelle nutzt die von Strom aus erneuerbaren Energien angetriebene Luft-Wasser-Pumpe die Umgebungsluft und soll auch bei frostigen Temperaturen bis minus 20 Grad funktionieren. Hergestellt wird die Anlage übrigens von der deutschen Firma MAN Energy Solutions.
Köln
Als erste deutsche Großstadt hat Köln verboten, Mähroboter über Nacht einzusetzen. Diese Zeit nutzen Igel bevorzugt für die Futtersuche. Anders als viele andere Kleintiere flüchten sie bei Gefahr nicht, sondern verlassen sich auf ihr Stachelkleid, das sie aber nicht vor den scharfen Klingen der selbstfahrenden Rasenmäher schützt. Um keine Igel zu verletzen oder zu töten, sollte man am besten den zu mähenden Bereich vorher gründlich absuchen und die Roboter nie unbeaufsichtigt lassen. Vorreiter des nächtlichen Mähverbots waren mit Borkheide und Nuthetal zwei brandenburgische Gemeinden.
Niedersachsen und Baden-Württemberg
Alle 16 Bundesländer legen in ihren Bauordnungen fest, dass nicht bebaute Flächen Wasser aufnehmen können müssen und zu bepflanzen sind. Den Wildwuchs von Schottergärten hat das noch nicht sonderlich eingedämmt. Mit Baden-Württemberg und Niedersachsen haben allerdings zwei Länder Schottergärten in ihren Naturschutzgesetzen zusätzlich verboten. Ein Rückschritt droht in Bayern, wo CSU und Freie Wähler den Kommunen das Recht zum Verbot der „Gärten des Grauens“ entziehen wollen.
Südtirol
Mit dem Bus von Dorf zu Dorf? Kein Problem in der autonomen Provinz Bozen. In jedes Tal, in nahezu jede Siedlung und sogar auf einige Alpenpässe fahren die hellgrünen Busse des regionalen Verkehrsverbunds. Und das teilweise im Halbstundentakt unter der Woche und im Stundentakt sonntags. Das für den ländlichen Raum außergewöhnlich gut ausgebaute Busnetz lieben Wanderurlauber*innen, erlaubt es ihnen doch flexible Touren. Die meisten Beherbergungsbetriebe stellen ihren Gästen den „Südtirol Guest Pass“ aus, der in allen Bussen, Regionalbahnen und etlichen Seilbahnen gilt. In Brandenburg, wo 2023 mit 14,2 Millionen mehr Urlauber*innen nächtigten als je zuvor, erheben derzeit 18 Kommunen eine Kurtaxe. Aber nur in Templin fahren Kurgäste umsonst Bus. Die Diskussion um eine „Brandenburg Card“ für Tourist*innen blieb bisher ohne Ergebnis. Dabei könnte eine solche Karte die Urlaubenden in den ÖPNV bringen.
Sønderborg
Mit rund 30.000 Einwohner*innen in der Kernstadt und weiteren 40.000 in den eingemeindeten Dörfern hat die süddänische Stadt eine ähnliche Größe wie Brandenburg an der Havel. Zwischen 2007 und 2022 hat sie ihre Treibhausgasemissionen schon um 52 Prozent gesenkt, bis 2029 will sie klimaneutral werden. Vorbildlich ist die relativ niedrige Temperatur von 55 Grad der örtlichen Fernwärme. Sie macht es einfacher, die Abwärme der örtlichen Unternehmen zu nutzen. Zum Vergleich: In Städten wie Berlin und Cottbus beträgt die Temperatur 90 Grad und mehr. Vom Hafen Fynshav im Gemeindegebiet legt mehrmals täglich die Autofähre „Ellen“ ab, das weltweit größte elektrisch betriebene Schiff. Mit einer Batterieladung fährt sie über 90 Kilometer – da sollte es doch auch die BVG schaffen, die Fähre zwischen Wannsee und Kladow zu elektrifizieren.
Konstanz
Becher, Teller, Schüssel: 50 Cent Einwegsteuer pro Verpackungsteil und 20 Cent für Einwegbesteck erhebt die Bodenseestadt ab 2025 überall dort, wo es Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr gibt. Damit ist Konstanz neben Heidelberg, Freiburg und Kleinmachnow eine von vier Kommunen, die eine Einwegabgabe nach Tübinger Vorbild beschlossen haben. 25 weitere Kommunen, darunter auch Berlin, prüfen dieses Instrument zur Eindämmung der Flut von To-go- Verpackungen. Allerdings steuert die Stadt Konstanz nicht nur mit der Steuer. Zusätzlich verbietet sie Einwegprodukte bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum und vermietet über die städtischen Entsorgungsbetriebe Mehrweggeschirr, -besteck und -trinkgefäße an Privatleute, Vereine und Initiativen, damit diese auch ohne eigene Ausstattung feiern können.
Capannori
Die toskanische Kleinstadt (46.000 Einwohner*innen) hat ihr Abfallaufkommen innerhalb von knapp 20 Jahren auf 325 Kilo pro Kopf und Jahr halbiert. Davon wiederum gelangen 59 Kilo in den Restmüll, alles andere wird wiederverwendet oder recycelt. Möglich gemacht hat das neben mengenabhängigen Restmüllgebühren („Pay as you throw“-System) die konsequente Trennung des Bioabfalls. Dazu wurden über 3.000 Haushalte mit Kompostern ausgestattet und die öffentlichen Kantinen haben eigene Kompostieranlagen. Zudem finanziert die Gemeinde ein Secondhand-Kaufhaus mit eigener Reparaturabteilung. Die Zero-Waste-Affinität von Capannori kommt nicht von ungefähr: In den 1990ern engagierten sich viele Einwohner*innen erfolgreich gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage.
Flandern
Man stelle sich den Aufschrei vor, den diese Meldung in Deutschland verursachen würde: Die Regierung verordnet, alle Bürger*innen sollen pro Jahr fünf Kilo gebrauchte Waren kaufen. Genau das hat die Regionalregierung des flämischsprachigen Teils von Belgien 2015 getan. Natürlich zwingt sie niemanden, Secondhand zu kaufen. Die fünf Kilo sind ein angestrebter Durchschnittswert, der seit 2018 erreicht wird. Dazu fördert die Regionalregierung 128 Gebrauchtwarenläden unter der Marke De Kringwinkel. Förderbedingungen sind unter anderem mindestens 30 Stunden Öffnungszeit pro Woche und Waren aus bestimmten Produktgruppen. Über 5.400 Menschen, die Schwierigkeiten auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, arbeiten hier. Die Leute von De Kringwinkel holen gespendete Waren kostenlos ab und reparieren sie gegebenenfalls. Mittlerweile gehört auch ein Möbelverleihservice zum Angebot.
Hamburg
Im Sommer veröffentlichte der rot-grüne Senat den „Masterplan Magistralen 2040+“, der die Stadtentwicklung entlang der zwölf großen Hamburger Einfallstraßen lenken will. Diese Straßen zerschneiden größtenteils ihr Umfeld, das mal mit Geschosswohnungsbau und mal mit flächenfressenden flachen Gewerbebauten samt Parkplätzen bestückt ist. Der Masterplan will die Magistralen aufwerten, ihnen mehr städtische Funktionen zuweisen. Eine prinzipiell gute Idee, findet der BUND Hamburg, kritisiert aber, dass dem Masterplan die verkehrspolitische Flankierung fehlt. Aus Berliner Sicht ist die Beschäftigung mit den Magistralen schon ein Fortschritt. Außerdem ist in den letzten Jahren der Ausbau der Radinfrastruktur in Hamburg gut vorangekommen. Seit 2020 wurden jedes Jahr zwischen 50 und 60 Kilometer saniert oder neu gebaut. Das ist zwar weniger als die geplanten 100 Kilometer pro Jahr, aber deutlich mehr als die 32 Kilometer, die Berlin in seinem bisher besten Jahr (2021) geschafft hat.
Karlsruhe
International bekannt wurde Karlsruhe für sein Stadtbahnsystem, das Trams auf Eisenbahnstrecken im Umland fahren lässt. Nun wird die Fächerstadt auch Pionierin bei der Finanzierung des ÖPNV. Als eine von drei Vorreiterkommunen will sie einen sogenannten Mobilitätspass einführen. Der Pass verpflichtet entweder alle volljährigen Bürger*innen oder die Kfz-Halter*innen zur Zahlung einer Nahverkehrsabgabe. Im Gegenzug bekommen die Zahler*innen den gezahlten Betrag als Gutschrift für ein ÖPNV-Ticket, wie etwa das Deutschlandticket, zurück. Ursprünglich hatte Karlsruhe eine Arbeitergeberabgabe bevorzugt, doch die strich die grün-schwarze Landtagsmehrheit auf Druck der CDU aus dem neuen Mobilitätsgesetz von Baden-Württemberg.
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 4/2024. Mehr zum Schwerpunktthema „Gute Beispiele”:
Es geht auch besser: Über die Umweltpolitik in Berlin und Brandenburg lässt sich momentan wenig Gutes sagen. Andere Städte und Regionen zeigen, dass sie durchaus Gestaltungmöglichkeiten haben
Gute Beispiele in Zahlen
Kiezinitiativen machen es vor: Werbung für Verkehrsberuhigung