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„Wenn Neubau alle Probleme löste, gäbe es in Berlin längst keinen Wohnungsmangel mehr“

17. Mai 2020 | BUNDzeit-Artikel, Flächenschutz, Immer.Grün, Stadtentwicklung, Stadtnatur

Buchautor Daniel Fuhrhop über Dogmen in der Baupolitik, Anreize zum Wohnraumteilen und Flächenverbrauch in schrumpfenden Gemeinden

Daniel Fuhrhop, Jahrgang 1967, Dipl.-Kaufmann. Gründete 1998 den Stadtwandel Verlag („Die Neuen Architekturführer“), wurde aber mit der Zeit immer kritischer gegenüber Neubau und verkaufte den Verlag 2013. Schrieb das Buch „Verbietet das Bauen!“ (2015, erweiterte Neuauflage 2020, gleichnamiger Blog); es folgten „Willkommensstadt“ (2016) und 2018 der Ratgeber „Einfach anders wohnen“. Seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. www.verbietet-das-bauen.de/buch

BUNDzeit: Weil Berlin zwischen 2011 und 2016 um fast eine Viertelmillion Menschen gewachsen ist, sollen bis 2030 laut Stadtentwicklungsplan Wohnen 194.000 neue Wohnungen entstehen. Geht das ohne Neubau?

Daniel Fuhrhop: Das ist zwar schwer, aber vorstellbar. Allein schon deswegen, weil die Einwohnerzahl Berlins schon höher war, auch wenn das lang her ist. Wenn man schaut, wie viele Menschen allein auf über 80 Quadratmetern oder zu zweit auf über 120 Quadratmetern leben, dann sind das in Berlin zusammen 170.000 Wohnungen, die so groß sind, dass ein, zwei oder sogar drei Personen zusätzlich unterkommen könnten. Klar wollen einige allein in einer großen Wohnung oder in einem großen Haus leben, aber bei anderen hat es sich einfach so ergeben. Wenn man ihnen gute Angebote macht, könnte man Wohnraum in erheblicher Größenordnung gewinnen.

Im Moment ist es gar nicht so einfach, gute Angebote zu machen, weil eine kleinere Wohnung nach dem Umzug mehr Miete kostet als die jetzige …

Der Umzug ist einer von drei wichtigen „U-Punkten“; die beiden anderen sind Untermieter vermitteln und Um- bau erleichtern. Den Umzug zu ermöglichen ist das Schwierigste, weil es ein sehr großer persönlicher Schritt ist. Deshalb ist der Ansatz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit Wohnungstauschbörsen richtig. Allerdings gibt es bisher nur wenige Vermieter in Deutschland, zum Beispiel die SWSG in Stuttgart, die ihren Mietern garantiert, dass sie nach der Verkleinerung die alte Quadratmetermiete zahlen. Erst das schafft in Verbindung mit der Tauschbörse ein wirklich attraktives Angebot. Und angesichts der riesigen Kosten für neue Wohngebiete sollte die Stadt auch die Umzugskosten übernehmen und einen Blumenstrauß drauflegen.

Gibt es den Durchsickereffekt, von dem die Baufans sprechen – also dass günstigerer Wohnraum frei wird, wenn Wohlhabende in Neubau ziehen?

In einigen Fällen mag tatsächlich etwas „durchsickern“, aber angesichts der Geldflut der Investoren kommt es zu einem anderen Phänomen: Anleger kaufen sich Zweitoder Drittwohnungen als Renditeobjekte, die nicht bewohnt werden. Investment vertreibt Menschen, wir haben keine Gentrification mehr, sondern Investification. Da kann man die Wut der Nachbarn schon gut verstehen, wenn dafür eine Brache oder ein Kleingarten verschwunden ist.

In der Politik sind zur Linderung der Wohnungsnot vermeintlich einfache Lösungen beliebt, etwa Flächen in öffentlichem Besitz möglichst schnell zu bebauen. Haben es Nutzungsänderungen oder Umbauten von Bestandsgebäuden schwerer, weil sie weniger spektakulär sind?

Da herrscht noch das Dogma, dass die Zukunft planbar und Bauen sozial sei. Dabei zeigt ein Bauprojekt nach dem anderen, dass das immer wieder schiefgeht. Wenn Neubau tatsächlich alle Probleme löste, gäbe es in Berlin längst kein Wohnungsmangel mehr, schließlich wird seit Jahrzehnten gebaut. Man sollte endlich akzeptieren, dass Neubau genauso kompliziert ist wie Umbau.

Welche politischen Instrumente eignen sich, um die Flächenversiegelung durch Neubau zu stoppen?

Ich nenne in der Neuauflage von „Verbietet das Bauen“ genau 100 Instrumente dazu. Um drei herauszugreifen: Erstens Bestandschutz für den Altbau, um Umbau zu erleichtern. Häufig ist es schwer, eine große Wohnung zu teilen oder eine separate Wohnung in einem Einfamilienhaus zu schaffen, weil dann in Sachen Schallschutz oder Stellplätze die gleichen Anforderungen wie beim Neubau gelten. Zweitens: Eigentümern, die schlechte Erfahrungen mit Messies oder Mietnomaden gemacht haben, kann soziale Wohnraumvermittlung zur Seite stehen, in- dem sie als Zwischenmieter fungiert oder Garantien ausspricht, sodass sich Eigentümer wieder zu vermieten trauen. Das dritte Instrument richtet sich an ältere Menschen, die jemanden aufnehmen, der statt Miete zu zahlen im Haushalt, im Garten oder beim Einkaufen hilft. In Brüssel werden nach diesem Konzept jedes Jahr über 300 Wohnpaare aus Jung und Alt vermittelt. In Deutschland gibt es in 35 Städten solche Vermittlungsstellen, aber ausgerechnet in Berlin gibt es „Wohnen für Hilfe“ nicht.

In der Hoffnung, die Abwanderung zu stoppen, wird auch in schrumpfenden Gemeinden gebaut. Funktioniert das?

Leider ist der Flächenverbrauch proportional dort am größten, wo die Bevölkerung schrumpft. Wenn am Ortsrand neu gebaut wird, steht im Kern mehr leer und verfällt. So sieht es in vielen kleineren Orten in der Prignitz oder in der Uckermark aus. Ein österreichischer Architekt hat vorgeschlagen, dass jeder, der im Ortskern ein Gebäude besitzt und einen Bauantrag für einen selbstgenutzten Neubau am Ortsrand stellt, erst einmal eine Chancenprüfung für den Altbau machen lassen muss, um zu sehen, was dort eigentlich möglich wäre. Mit dem Ziel, lieber den Altbau in Ordnung zu bringen als am Rand zu bauen.

Viele denken bei den Umweltproblemen des Neubaus in erster Linie an Flächenverbrauch, weniger an zusätzlichen Verkehr und an den Energieverbrauch beim Abriss und beim Neubau. Wie könnten diese Aspekte mehr Beachtung finden?

Wir bräuchten eine ganzheitliche Energiebilanz bei jedem Bauprojekt, so wie es in der Schweiz schon lange üblich ist. Wenn nicht nur auf die Energieeffizienz beim Betrieb, vor allem beim Heizen, sondern auch auf den Energiebedarf beim Bau geschaut wird, sieht die Bilanz ganz anders aus. Manchen Altbau würde man nicht mehr abreißen, sondern sanieren.

Wie können Architekt*innen ihre Handschrift hinterlassen, wenn wir das Bauen verbieten?

Sie müssen sich keine Sorgen machen, wenn wir nicht mehr bauen. Gerade dann brauchen wir viel mehr Fantasie für Umbau und Umnutzung. Nehmen wir nur mal das ICC. Es wäre eine gigantische Aufgabe, hier eine gute Nutzung für die Zukunft zu finden.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2020/2. Weitere aktuelle Beiträge zum Schwerpunktthema „Grünes Wachstum“:

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