Berlin, 11.09.2024: Der nun dem Abgeordnetenhaus zugeleitete Senatsentwurf des Schneller-Bauen-Gesetzes wird das Dunkelfeld Artenschutz noch weiter vergrößern. Die vorgesehenen Änderungen beim Natur- und Artenschutz werden hingegen den Wohnungsbau in Berlin nicht beschleunigen, sondern mehr Rechtsunsicherheit für Bauverantwortliche schaffen. Das bekräftigen die Berliner Umwelt- und Naturschutzverbände in einem gemeinsamen Positionspapier (Link hier), die von der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) an Fraktionsmitglieder von CDU und SPD im Berliner Abgeordnetenhaus versandt worden ist. Darin werden mehrere aus fachlicher Sicht besonders kritische Änderungen benannt und Änderungsvorschläge gemacht.
Mit Umsetzung des Schneller-Bauen-Gesetzes werden Vorgänge nicht mehr gründlich geprüft und so verkürzt, dass nicht mehr richtig nachvollzogen werden kann, ob bei einem Vorhaben geschützte Biotope oder Arten von Eingriffen betroffen sind. Der Verlust an lebensnotwendigem Grün und urbaner Artenvielfalt droht zuzunehmen. Unter diesen Bedingungen werden die Naturschutzverbände geradewegs genötigt, sich regelmäßig in den jeweils zuständigen Verwaltungen nach dem aktuellen Stand zu erkundigen, ob Arten und Biotope durch die Planungsvorhaben beeinträchtigt werden. Das führt zu erheblichem Mehraufwand in den Verwaltungen.
Nun ist es an den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses, noch mögliche Änderungen im Sinne der Rechtssicherheit und des Natur- und Artenschutzes vorzunehmen. Die erste Lesung des Gesetzentwurfes findet diesen Donnerstag im Plenum des Berliner Landesparlaments statt. Die schwarz-rote Koalition hat das Ziel ausgegeben, das Gesetz bis Jahresende zu beschließen. Es handelt sich um ein sogenanntes Artikelgesetz, mit dem Änderungen in zahlreichen Einzelgesetzen umgesetzt werden.
Wir möchten alle Berliner*innen bitten, Abgeordnete der Koalition zu kontaktieren und aufzufordern, das Gesetz genau zu prüfen und zu verbessern. Der BUND Berlin bietet auf seiner Website unter diesem Link die einfache Möglichkeit dazu.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf soll Planungen beschleunigen, beschränkt aber die Nutzung von Kompetenzen erfahrener und kundiger Verwaltungsmitarbeiter*innen und der Naturschutzverbände. Das ändert allerdings nichts an der gegebenen Bundes- und EU-Gesetzgebung. Vielmehr führt das Gesetz zu Verwirrungen und Unstimmigkeiten, zum Beispiel wer letztlich die Verantwortung für den Natur- und Artenschutz trägt. Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung, welche bisher kaum mit diesen Themen in Berührung gekommen sind, sollen Aufgaben übernehmen, welche seit langem in den Bezirksverwaltungen mit gewachsener Erfahrung abgearbeitet werden.
Drei Beispiele besonders kritischer Änderungen
Laut Senats-Gesetzentwurf müssen die Baugenehmigungsbehörden die zuständigen Naturschutzbehörden letztlich nur noch informieren. Bisher muss laut § 19 Abs. 2 des Berliner Naturschutzgesetzes ein Einvernehmen der Behörden hergestellt werden, künftig soll laut Vorstellungen des Senats ein „Benehmen“ reichen. Die Naturschutzverbände fordern die komplette Streichung der geplanten Änderung. Die Naturschutzverbände warnen vor einer Einschränkung der vorhandenen Fachkompetenz und Ortskunde des Personals der unteren Naturschutzbehörden. Durch die neue Regelung wäre zu befürchten, dass geltendes EU- und Bundesrecht nicht ausreichend berücksichtigt wird. In dem Fall könnte ein Rechtsstreit drohen, wenn die Bauaufsichtsbehörde vorhandene Einwände der unteren Naturschutzbehörden ignorieren.
Ebenso wird von den Berliner Naturschutzverbände die Streichung des neuen Paragraphen 39a im Berliner Naturschutzgesetz gefordert. Mit diesem neuen Paragraphen soll der Antrag einer Ausnahme vom Störungs- und Tötungsverbot besonders geschützter Tier- und Pflanzenarten sowie eine Befreiung für die Bebauung von Schutzgebieten oder besonders geschützter Biotope per Baugenehmigung erteilt werden. Sollte ein Antrag auf Ausnahmegenehmigung oder Befreiung aufgrund der neuen Regelung übersehen werden, hätte das weitreichende Konsequenzen. Das kann eine Kaskade von juristischen Verfahren auslösen, die den Bauablauf über einen langen Zeitraum verzögern würden.
Für die in § 45 des Berliner Naturschutzgesetzes geregelten Mitwirkungsrechte der Umweltverbände vor der Zulassung von Ausnahmen und Eingriffen soll die Bearbeitungsfristen auf nur noch zwei Wochen halbiert werden. Die Verbände fordern eine Beibehaltung der aktuellen Frist von vier Wochen. Denn das grundsätzliche Problem ist, dass der Artenschutz oftmals nicht frühzeitig in der Bauplanung berücksichtigt wird, was dann zu Verzögerungen führt. Eine Begrenzung der Frist auf zwei Wochen wird das Bauen daher nicht beschleunigen. Wichtiger als eine Fristbeschneidung der Verbände scheint uns eine frühzeitige und umfassende verbindliche Beratung der Vorhabenträger*innen über Pflichten beim Artenschutz und über die Ansprechpartner, Zuständigkeiten und Bearbeitungszeiträume, auch in den Verwaltungen.
Zitate:
Lena Assmann, Referentin für Stadtgrün, GRÜNE LIGA Berlin e.V.: „Berlin braucht Wohnraum, dessen Schaffung sollte allerdings nicht zu Lasten des Natur- und Artenschutzes gehen, wenn unsere Stadt auch in Zukunft lebenswert bleiben soll. Statt einer Beschleunigung von Bauvorhaben rechnen wir mit mehr Verzögerungen und juristischen Verfahren, wenn der Naturschutz nicht mehr von Anfang an mit in die Planung miteinbezogen wird. Am Schneller-Bauen-Gesetz muss dringend nachgebessert werden, um sicherzustellen, dass geltendes Recht im Naturschutz weiter eingehalten wird.“
Uwe Hiksch, Landesvorstand NaturFreunde Berlin: „Die geplante Einschränkung der Mitwirkungsrechte von Umweltverbänden durch das Schneller-Bauen-Gesetz ist ein Angriff gegen demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft. Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis diese Mitwirkungsrechte im Berliner Naturschutzgesetz geregelt wurden. Unter dem Deckmantel der Effizienz sollen die Möglichkeiten, qualifizierte Stellungnahmen zu geplanten Baumaßnahmen abzugeben, eingeschränkt werden. Die NaturFreunde erwarten vom Berliner Abgeordnetenhaus, dass dieser Versuch, die Mitwirkungsmöglichkeiten von Umweltverbänden zu beschneiden, verhindert wird.“
Dirk Schäuble, Referent für Stadtnatur beim BUND Berlin e.V.: „Jetzt sind die Gesetzgeber*innen im Berliner Abgeordnetenhaus in der Verantwortung. Das ist schließlich kein Senator-Gaebler-Gesetz, sondern ein Gesetz das die Zukunft unserer Stadt bestimmt. Jeder, der im Plenum dem Gesetz zustimmen möchten, hat die Pflicht sich mit dem Gesetz zu beschäftigen und potenzielle Fehler zu korrigieren. Und im Bereich Natur- und Artenschutz enthält das Gesetz leider noch jede Menge Fehler. Gerne unterstützen wir verantwortungsbewusste Parlamentarier*innen bei Änderungsanträgen.“
Manfred Schubert, Geschäftsführer der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN): „Der vorliegende Gesetzesentwurf wird keinesfalls zur Beschleunigung der Baugenehmigungsverfahren führen, im Gegenteil, er birgt den Keim für Verzögerungen während des Genehmigungsverfahrens und für juristische Auseinandersetzungen. Die Abgeordneten sind aufgefordert hier für ein Höchstmaß an Klarheit zu sorgen, die Naturschutzverbänden haben dafür Vorschläge gemacht.“
Kontakt:
Lena Assmann, GRÜNE LIGA Berlin e.V., 030-44 33 91 44, lena.assmann(at)grueneliga-berlin.de
Uwe Hiksch Geschäftsführer, Landesvorstand NaturFreunde Berlin, 0176-62 01 59 02, uwe.hiksch(at)t-online.de
Manfred Schubert, Geschäftsführer Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz, 030-26 55 08 64, manfred.schubert(at)bln-berlin.de
Dirk Schäuble, Referent für Stadtnatur BUND Berlin, 030-78 79 00 39, schaeuble(at)bund-berlin.de