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„Von allein läuft der Waldumbau oft besser“

14. Mai 2024 | Bäume, BUNDzeit-Artikel, Naturschutz, Wälder

Lutz Fähser, ehemaliger Lübecker Forstamtsleiter, über natürliche Waldgesellschaften, überholtes Lehrbuchwissen und waldverträgliche Holzernte

Lutz Fähser, Jahrgang 1944, studierte Forstwissenschaft in Freiburg und München und promovierte 1977 in Forstlicher Betriebswirtschaft. Von 1986 bis 2009 leitete er den 5.000 Hektar großen Stadtwald von Lübeck. Dort führte er 1994 das Konzept der „naturnahen Waldnutzung“ ein, das Grundlage für die Naturland-Waldzertifizierung und den deutschen Standard von FSC wurde. Zahlreiche kommunale Waldbesitzer, darunter Berlin, haben sich diesen Zertifizierungen verpflichtet. 2023 benannte die EU-Kommission das Lübecker Konzept als eines von vier Best-Practice-Referenzen für ihre Strategie des „Closer-to-Nature Forest Management“.

BUNDzeit: Reden wir von Wald, Forst oder Plantage?

Lutz Fähser: Wald ist für mich ein Ökosystem, das relativ schnell in der Lage ist, sich selbst zu organisieren und den Anforderungen aus der Umwelt Rechnung zu tragen. Forst ist immer von Menschen beeinflusst und folgt von Menschen gesetzten Zielen. Plantagen würde ich gepflanzte Forste nennen, solange sie sich noch nicht selbst verjüngen.

Wie sähe Urwald in Brandenburg aus, wenn es ihn gäbe?

Bundesweit gäbe es im Naturwald keine fünf Prozent Nadelbäume, in den heutigen Forsten sind es gut 55 Prozent. In Brandenburg aber haben wir sehr sandige, eiszeitlich geschichtete Böden, eher kontinentales Klima mit heißen Sommern und kalten Wintern – früher jedenfalls –, da sind Nadelbäume durchaus vertreten, seit der Preußenzeit mit der Kiefer aber völlig überrepräsentiert. Dazu Eichen, Birken auf Störungsflächen und Buchen vereinzelt auf besseren Böden mit mehr Wasser, aber überall eingemischt. Also ein Laubmischwald mit hohem Nadelanteil.

Kommen Eichen und Buchen miteinander klar?

Die natürlichen Waldgesellschaften beruhen darauf, dass einige Arten an einem Standort besser klarkommen als andere. Langfristig setzen sich manche durch, mischen sich bei oder scheiden aus. Das Lehrbuchwissen sagt, dass wenn Eiche und Buche zusammen wachsen, die Buche immer dominant ist. Das konnten wir in Lübeck widerlegen. Eichen kommen momentan mit dem Klimadruck besser zurecht, ihretwegen müssen wir keine Buchen rausschlagen. Jede Fällung befördert Hitze und Trockenheit, was am Ende beiden schadet.

Wie funktioniert Waldumbau praktisch?

Die klassische Überführung von Monokulturen in Mischwälder geht so, dass man den Bestand vorsichtig auflichtet, um Licht und Niederschlag reinzulassen. Dort bringen dann Eichelhäher Eichen ein, Ebereschen kommen dazu, Laubbäume etablieren sich. Wenn man ungeduldig ist, pflanzt man Buche im Schatten oder Eiche, wo genügend Licht da ist. Beim am Naturwald orientierten Umbau gibt es nur zwei wichtige Prinzipien. Erstens: Lasst die Wälder in ihre natürliche Konfiguration zurückkehren. Zweitens: Minimiert die Eingriffe. Der Auflichtungsprozess, der vor 30 Jahren unter Kiefern und Fichten vernünftig erschien, muss angesichts der Klimakrise verlangsamt werden, sonst vertrocknen die Wälder. In den monotonen Kiefernforsten schaut man, wo sich heimische Laubarten angesiedelt haben, häufig ist hier eine kleine Birke und dort eine kleine Buche. Die würde man etwas freistellen und das Ganze die nächsten 20 Jahre dunkel und feucht halten. Kein Kahlschlag, nichts Schematisches.

Was tun, damit die jungen Triebe nicht weggefressen werden? Kann man sich beim Wildtiermanagement auf den Wolf verlassen?

In Teilen von Brandenburg könnte man sich auf den Wolf verlassen, aber leider nicht auf den Menschen, weil der wieder gegen den Wolf vorgeht. Und wir haben keine Bären und zu wenig Wildkatzen und Luchse; bei den Prädatoren ist die Natürlichkeit der Wälder längst nicht erreicht. Deshalb müssten wir intensiv jagen und zäunen.

Die Nachfrage nach Holz unterliegt wechselnden Moden, Forstleute müssen aber langfristig planen. Wie löst man dieses Dilemma?

Idealerweise müssten wir Forstleute sagen: „Wir können euch in diesem und jenem Zeitraum so und so viel Holz liefern“. Das kann man ausrechnen und die Gesellschaft stellt sich darauf ein. Bisher ist es umgekehrt. Alle schauen auf den Markt und sagen beispielsweise: „Bauholz wird gebraucht, also macht mal viel Nadelholz“. Dass das zum Ruin des Waldes führt, sollten wir nach 200 Jahren Fichtenwirtschaft gelernt haben.

Wie viel Holz lässt sich waldverträglich ernten?

Wir haben in Deutschland im Mittel einen Vorrat von 350 Kubikmetern lebenden Bäumen pro Hektar. Das sagt zunächst nur etwas über den möglichen Zuwachs, den man damit ausrechnen kann. Aber wir wollen eine natürliche Konfiguration, keine dauernd wegsterbende Plantage. Im Naturwald hätten wir grob geschätzt einen Vorrat von 700 Kubikmetern. Das heißt: Wir haben unsere Wälder auf die Hälfte des natürlichen Volumens reduziert. Ich vergleiche das gern mit dem menschlichen Körpergewicht: Wenn ich ein Idealgewicht von 70 Kilo habe, aber nur 35 Kilo wiege, lebe ich noch. Wenn aber Stress kommt – im Fall der Bäume Trockenheit, Sturm, Insekten –, dann gehe ich in die Knie. In dieser Situation befinden wir uns. Deshalb müssten sich alle naturnahen Wälder ihrem optimalen Holzvorrat annähern. Sie bräuchten mindestens 70 Prozent ihres Optimalvorrats, um richtig zu funktionieren. Also um die 500 Kubikmeter. Daher müsste eine gewisse Zeit deutlich weniger eingeschlagen werden als nachwächst. Das ist eine Durststrecke, die aber eine Prämie bringt: Widerstandsfähigkeit und Produktivität wachsen, das Risiko fällt. Um eine Zahl zu nennen, wie viel man ernten kann: höchstens 60 Millionen Kubikmeter im Jahr in ganz Deutschland. Derzeit ernten wir um die 100 Millionen Kubikmeter. Das ist mehr als zuwächst, somit ist der Wald keine CO2-Senke mehr.

Das Naturland-Siegel schreibt zehn Prozent stillgelegte Fläche vor. Ist das eine politische Zahl?

Als wir uns in Lübeck für die natürlichen Waldgesellschaften entschieden hatten, konnten wir sie nicht gestalten, weil wir sie nicht kannten. Also brauchten wir Anschauungsflächen. Wir wollten beobachten, wie Natur mit Kulturwäldern umgeht, wenn wir sie nicht mehr steuern. Das Ziel war nicht Naturschutz, sondern Lernen. So kam es zu den zehn Prozent. Ob das der richtige Anteil ist, kann niemand sagen. Die stillgelegte Fläche darf in absoluten Zahlen aber nicht zu klein sein, damit sich die Bedingungen von außen nicht innen mitteilen. Was haben wir gelernt? Dass der „Waldumbau“ von allein oft besser läuft. Zum Beispiel sind Borkenkäfer in den stillgelegten Beständen ein viel kleineres Problem als dort, wo sie immer wieder entfernt werden. Auch die Nationale Biodiversitätsstrategie hat das Ziel von zehn Prozent stillgelegte Waldfläche übernommen, wobei sie von Privatwäldern nur fünf Prozent fordert.

Wie könnte man Privatwaldbesitzende zu mehr Wildnis im Wald bewegen, von der Artenvielfalt, Wasser- und Kohlenstoffspeicherung profitieren?

Die derzeitige Bundesregierung bezahlt diese Ökosystemdienstleistungen. Nach der nächsten Wahl kann alles wieder anders aussehen, daher empfehle ich allen, so eine Vereinbarung jetzt abzuschließen. Sie bringt die nächsten 20, 30 Jahre Geld ein, während überhaupt nicht klar ist, ob die Wälder stabil bleiben und man weiterhin Geld mit Holz machen kann.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUND 02/2024. Mehr zum Titelthema Wald:
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