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Auf gute Nachbarschaft!

Wildtiere machen sich in bewohnten Gebieten breit: eine gute Gelegenheit, über unsere Flächennutzung nachzudenken.

„Terror-Waschbär macht Regierungsviertel unsicher“, „Wildschweine lassen die Sau raus“, „Steinmarder: Plagegeister im feinen Pelz“ – kaum eine Woche vergeht ohne Schlagzeilen dieser Art. Müssen wir Angst vor Aliens aus dem Wald haben? Geht es hier um illegale Einwanderung im großen Stil? Die Antwort ist ausnahmsweise einmal ganz einfach: Nein.

Der gefühlten Invasion der Wildtiere in der Stadt steht ein tatsächlicher Artenschwund entgegen: global, bundesweit – und selbst in der für ihren Artenreichtum gerühmten Hauptstadt sieht es für manche Tiere nicht gut aus. Von 178 heimischen Vogelarten sind 17 Prozent verschollen oder schon ausgestorben, weitere acht Prozent sind vom Aussterben bedroht und sieben Prozent gelten als stark gefährdet. Von 59 Säugetierarten sind nur 27 gänzlich ungefährdet, einige seltene Arten, Iltisse oder Teichfledermäuse etwa, wurden bisher erst ein- oder zweimal in Berlin gesichtet. Natürlich sind es nicht diese Exoten, die einigen als Plage gelten, sondern mit Rotfuchs, Wildschwein, Waschbär und Steinmarder Kulturfolger, die sich den Lebensbedingungen in der Stadt hervorragend angepasst haben.

Für den urbanen Raum als neue Heimat haben diese sich aus den verschiedensten Gründen entschieden, die alle etwas mit menschlichen Einflüssen zu tun haben. Zum Beispiel mit der Holzwirtschaft: Wildschweine lieben Eicheln und Bucheckern, mit eintönigen Fichtenwäldern können sie nichts anfangen. Nehmen diese zu, beginnen die Schwarzkittel auszuwandern, auch in besiedelte Gebiete. Und in den verbliebenen Mischwäldern stehen sie sich buchstäblich auf den Pfoten, denn in den vergangenen Jahrzehnten konnten sie sich prächtig vermehren, denn Nutzpflanzen wie Mais oder Raps bieten den Wildschweinen immer mehr Nahrung. Die Anwesenheit des Waschbären verdanken wir sogar einer direkten menschlichen Intervention: Er wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu Jagdzwecken aus Nordamerika nach Deutschland importiert. Dies sollte man bedenken, wenn man über die Schäden redet, die die städtischen Wildtiere ab und zu anrichten. Wenn Wildschweine Gärten umpflügen oder Waschbären Dachböden verschmutzen, mag das ärgerlich sein, es gefährdet den Bestand unserer Art aber nicht im Geringsten. Vor allem nicht im Vergleich zu dem, was wir im industriellen Maßstab mit den Lebensräumen aller möglichen anderen Arten anstellen; etwa durch Straßenbau, Gewässerregulierung, Flächenversiegelung oder Monokulturen. Ganz zu schweigen von der rücksichtslosen Ausrottung mancher Arten. Fast hätte es mit dem Biber auch ein Tier erwischt, das sich inzwischen wieder zaghaft in unserer Region ansiedelt. Doch dieser Erfolg ist bedroht: In Brandenburg fordern erboste Bürger die Vertreibung des vermeintlichen Rabauken und Deichzerstörers.
 

Flächenschutz ist Artenschutz

Bei den auffälligsten wilden Vierbeinern in Berlin handelt es dagegen nicht um gefährdete Arten. Fuchs, Wildschwein, Waschbär, Kaninchen und Marder brauchen keine besonderen Schutzmaßnahmen. Es gilt lediglich ihre Anwesenheit mit einer gewissen Gelassenheit zu akzeptieren – und ihnen ein paar Rückzugsflächen zu lassen. Warum nicht einfach zehn bis zwanzig Prozent der Parkflächen sich selbst überlassen? Dabei geht es in erster Linie gar nicht um die größeren Säugetiere: Mehr Dickicht, Wildwuchs und Totholz nutzen auch den kleinen, weniger prominenten Arten, den verschiedensten Insekten, Vögeln und Amphibien, die letztlich sogar eine wichtigere Rolle für das Ökosystem spielen.

Nebenbei erwähnt: Auch wir Menschen profitieren von wildtierfreundlichen Maßnahmen: Grüne Korridore dienen schließlich nicht nur den Tieren als Wanderrouten, sondern auch uns als Frischluftschneisen. Renaturierte Ufer bieten nicht nur Lebensraum für Biber, Otter und verschiedenste Vögel, sondern entsprechen auch dem ästhetischen Empfinden der meisten Menschen. Und eine Entschleunigung des Straßenverkehrs erhöht die Lebenserwartung aller Stadtbewohner, egal auf wie vielen Beinen sie laufen. Verkehrsunfälle sind übrigens die häufigste Todesursache bei Steinmardern. Dass daher ihre Leidenschaft für das Durchknabbern von Autokabeln herrührt, ist aber ein Gerücht.

Dieser Text erschien in der BUNDzeit 2011-4

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