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„2016 wurden mehr Cargobikes als Elektroautos verkauft“

Arne Behrensen, geboren 1975, studierte Politikwissenschaften an der FU Berlin und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. 2013 bis 2015 managte er die Projekte „Lasten auf die Räder!“ und „European Biking Cities“ für den ökologischen Verkehrsclub VCD. Seit 2015 versorgt er Kommunen, Fahrradbranche und Öffentlichkeit mit News und Dienstleistungen zum Trendthema Cargobikes. Zum Fuhrpark seiner vierköpfigen Familie gehören zwei Lastenräder. www.cargobike.jetzt

Lastenfahrrad-Experte Arne Behrensen über Kaufprämien, ideale Kiezvehikel und Mobilitätsgewohnheiten der dänischen Königsfamilie

Herr Behrensen, reden wir über Lastenfahrräder oder Cargobikes?

Das ist eine semantische Frage. Mit „Lastenfahrrad“ wird oft etwas Anstrengendes, Belastendes assoziiert. Aber sind Kinder, die man transportiert, eine Last? „Cargobike“ kommt flotter, attraktiver daher und wird auch den modernen Modellen mit ansprechendem Design, tollem Fahrgefühl und manchmal E-Motor eher gerecht. Aber gemeint ist natürlich dasselbe.

Wann wird das Bike zum Cargobike – reicht schon ein etwas stabilerer Gepäckträger?

Ein  Lastenfahrrad hat größere Transportmöglichkeiten vorne oder hinten, meist mit niedrigem Schwerpunkt. Es gibt einspurige Cargobikes mit zwei Rädern oder mehrspurige mit drei Rädern. Das klassische dreirädrige Modell mit großer Box vorne ist das ideale Kiezgefährt, in das alles reinpasst. Aber wenn man fünf, sechs Kilometer fährt, wird es etwas schwerfällig. Es sei denn, man hat einen E-Motor. Wenn man schneller unterwegs sein will, ist man mit einspurigen Modellen besser bedient.

Wie viel Gewicht schafft ein Cargobike?

Es gibt Modelle in der Logistikbranche, die man mit bis zu 350 Kilo beladen kann. In der Regel liegt das Maximum eher bei 80 bis 100 Kilo. Im Alltag kommt man mit ein oder zwei Kindern, einem Rucksack, einem Laufrad und vielleicht einem kleinen Einkauf nicht über 60 Kilo.

Wann ist ein E-Motor sinnvoll?

Er ist auf jeden Fall nötig, wenn große Gewichte und Steigung ins Spiel kommen. Auch sonst bringt der elektrische Rückenwind Erleichterungen und Fahrspaß. Es geht aber auch ohne und oft spielt der Preis bei der Entscheidung eine Rolle.

Wie viel Geld muss ich für ein ordentliches Cargobike hinlegen?

Mindestens 1500 Euro. Für ein voll ausgestattetes neues Lastenfahrrad zahlen Familien eher 2500 Euro. Mit E-Antrieb kommen je nach Modell nochmal um die 1000 Euro drauf. Bei hochwertigen E-Lastenrädern geht es bis etwa 6000 Euro hoch.

Das hört sich erst einmal teuer an, aber ein Auto kostet deutlich mehr.

Es ist ja nicht nur der Kaufpreis! Es entfallen auch Kfz-Steuer, Sprit- und Versicherungskosten, man braucht keinen Führerschein und auf einen Auto-Parkplatz passen vier Cargobikes.

Was muss sich in Berlin ändern, damit man noch besser mit Cargobikes fahren kann?

Alles, was die Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos senkt und so dem Radverkehr insgesamt nutzt, hilft auch denjenigen, die mit Cargobikes oder Anhängern unterwegs sind. Bei Lastenrädern kommt speziell die Breite dazu. Drängelgitter und zu enge Poller stellen große Hindernisse dar. Und Radwege und Radspuren müssen sowieso breiter werden.

Wie viele Cargobikes gibt es eigentlich?

Global betrachtet ist nicht Europa, sondern Asien der Schwerpunkt der Lastenradnutzung. In Europa liegen die Niederlande und Dänemark vorne. Die Stadtverwaltung von Kopenhagen hat erhoben, dass dort 28 Prozent aller Familien mit zwei oder mehr Kindern ein Cargobike haben. Auch das dänische Prinzenpaar kutschiert seine Kinder regelmäßig mit dem Lastenrad herum. In Deutschland gibt es einer Studie zufolge rund 52.000 gewerblich genutzte Lastenräder, der größte Teil davon gehört der Post. Laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) waren 2,5 Prozent aller 605.000 im Jahr 2016 verkauften E-Bikes Lastenräder, also 15.000 Stück. E-Autos wurden letztes Jahr dagegen nur 11.400 neu zugelassen.

Was bedeutet das für die Politik?

Wo es eine Kaufprämie für E-Autos gibt, ist es eine Frage der Logik und der Gerechtigkeit, dass der Kauf von E-Fahrzeugen belohnt wird, die noch viel umweltfreundlicher sind. In Frankreich hat man eben erst eine Prämie für Pedelecs eingeführt. In Wien, Basel, Graz, Oslo und München gibt es Kaufprämien speziell für Cargobikes. Es ist ein Trend, ganz gezielt Gefährte zu fördern, die eine nachhaltige Mobilität symbolisieren. Die Stadt München stockt die Kaufprämie für E-Lastenräder um 1000 Euro auf, wenn ein Auto mit Verbrennungsmotor nachweislich stillgelegt wird. Das brauchen wir auch auf Bundesebene!

Wäre ein Cargobike-Verleihsystem eine Alternative zur Kaufprämie?

Zumindest eine wichtige Ergänzung. Schließlich sind die Räder vergleichsweise groß und teuer und nicht alle Leute nutzen sie täglich. Ein Zwei-Personen-Haushalt, der einmal im Monat zum Baumarkt fährt oder einen Großeinkauf für eine Party macht, braucht kein eigenes Lastenrad. Eine Kaufprämie begünstigt Leute, die schon die Möglichkeit haben, ein paar tausend Euro hinzulegen. Wer sich das nicht leisten kann, würde eher von einem Sharingsystem profitieren. Das ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. Und ein Verleih schafft niederschwelligen Zugang zu Cargobikes.

Wie viel innerstädtischen Lieferverkehr könnten Lastenräder übernehmen?

Wenn es Zufahrtsbeschränkungen gibt – Blaue Plakette, eingeschränkte Lieferzeiten, autofreie Zonen –, dann wird der Umstieg auf Logistikkonzepte mit Cargobikes deutlich schneller gehen. UPS, DHL Express und Co betreiben erfolgreiche Pilotprojekte. Eine Studie kommt zum Schluss, dass 51 Prozent aller Gütertransporte in europäischen Städten durch verschiedene Fahrradtypen einschließlich E-Lastfahrräder ersetzt werden können.

Was kann die öffentliche Hand Sinnvolles tun?

Ein Land wie Berlin ist ein großer Auftraggeber. Es könnte bei der Auftragsvergabe eine emissionsarme Transportabwicklung verlangen, sodass die Unternehmen verstärkt Cargobikes einsetzen. Was den Fuhrpark angeht: Das Beschaffungswesen ist seit Jahrzehnten sehr stark auf das Auto zugeschnitten. Im „Kaufhaus des Bundes“, der offiziellen Beschaffungsplattform für Bundesbehörden, werden jedes Jahr Millionen Umsatz mit Kraftfahrzeugen gemacht – aber du kriegst kein Fahrrad, Pedelec oder Cargobike. Diese Strukturen müssen wir mit neuen, umweltfreundlichen Produkten knacken!

Das Interview erschien in der BUNDzeit 2017-2

Kontakt

Martin Schlegel

Referent für Verkehrspolitik
E-Mail schreiben Tel.: (030) 787900-17

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