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„Man sollte sich immer auf die eigenen Sinne verlassen“

23. Januar 2019 | BUNDzeit-Artikel, Lebensmittel, Suffizienz, Zero Waste, Abfall

Viktoria Trotno, Qualitätskontrolleurin bei Sirplus, dem Supermarkt für gerettete Lebensmittel, über sensorische Testverfahren, unnötige Mindesthaltbarkeitsdaten und krumme Möhren

Viktoria Trotno, 28 Jahre, Abitur mit dem Schwerpunkt, Ökotrophologie, studiert Lebensmitteltechnologie und Wirtschaft in Bremerhaven. Sie setzt sich seit vier Jahren aktiv gegen Lebensmittelverschwendung ein, unter anderem mit Foodsharing. Seit Ende 2017 ist sie bei SirPlus für die Qualitätskontrollen zuständig.

BUNDzeit: Viktoria, wie testest du die Qualität von Lebensmitteln?

Viktoria Trotno: Zunächst mal prüfe ich mit den Augen. Wie ist die Verpackung, welche Zutaten sind angegeben? Ist das Produkt vielleicht beschädigt? Sieht es so aus, wie ich es kenne, beziehungsweise kenne ich es überhaupt? Danach öffne ich die Verpackung, sehe mir den Inhalt an und rieche daran. Zum Schluss probiere ich, wobei es einen Unterschied zwischen probieren und essen gibt.

Kann man die Qualität auch ertasten?

Ja, zum Beispiel bei Chips. Die knacke ich mit den Fingern, um zu testen, ob sie so knusprig sind wie erwartet. Wenn die Chips weich und labbrig sind, muss ich erst gar nicht reinbeißen, schließlich weiß ich, dass die Kund*innen knackige Chips erwarten. Und wenn so eine typische Eigenschaft nicht mehr vorhanden ist, verkaufen wir das Produkt nicht.

Was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass es verdorben ist.

Überhaupt nicht. Aber die Kundschaft erwartet gewisse Eigenschaften. Und die wollen wir garantieren. Wir wollen erst einmal das Vertrauen darauf aufbauen, dass Waren auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) ihre gewohnte Qualität behalten – dabei ist es nicht hilfreich zu sagen „stell dich nicht so an, man kann es doch noch essen.“ Wobei ich persönlich es nicht so schlimm finde, wenn etwas nicht mehr so knusprig ist, solange es noch gut schmeckt.

Verkauft ihr bei Sirplus Waren, bei denen sich das Aussehen geändert hat, aber andere wichtige Eigenschaften wie gewohnt erhalten sind?

Ja. Dafür gibt es Beispiele aus allen Warengruppen. Nehmen wir mal Bananen. Die sind so verletzlich, dass sie sofort braune Flecken auf der Schale bekommen, sobald man sie falsch anfasst oder falsch lagert. Nicht immer, aber oft sind sie von innen aber noch unbeschädigt. Sie haben ja auch eine ziemlich dicke Schale. Bei gekühlter Ware kann sich das Aussehen der Verpackung ebenfalls verändern. Zum Beispiel bläht sie sich auf. Das ist kein Zeichen dafür, dass das Produkt verdorben ist. Bei Jogurt arbeiten Milchsäurebakterien und produzieren Sauerstoff, das soll auch so sein. Ich hatte mal einen Kefir fünf Monate lang rumstehen, dort hat sich die Verpackung nach einer Weile nach innen gewölbt, was bedeutet, dass die Bakterien absterben. Geschmeckt hat der Kefir wie immer. Manchmal entwickeln sich Aromen weiter, was den Geschmack intensiver macht.

Muss ich, wenn ich bei Sirplus einkaufen gehe, mehr Verantwortung als in anderen Läden übernehmen?

Überall gibt es hin und wieder Produkte, die schon vor Ablauf des MHD anders als sonst oder sogar verdorben sind. Man sollte sich immer auf die eigenen Sinne verlassen.

Aber wie ist es bei Veränderungen, die man weder sehen, riechen noch schmecken kann?

Es gibt natürlich den mikrobakteriellen Befall, zum Beispiel Salmonellen. Meistens sieht oder riecht man aber die Veränderung. Bei frischem Fleisch oder Fisch, was wir gar nicht im Angebot haben, zählt das Verbrauchsdatum. Wenn es verstrichen ist, darf das jeweilige Lebensmittel nicht mehr verzehrt werden. Wer das nicht beachtet, geht schon ein gesundheitliches Risiko ein. Beim MHD ist es ganz anders, schließlich können es die Hersteller auch nur Pi mal Daumen festlegen und mit einem gewissen Puffer versehen. Das führt dazu, dass sehr viel weggeworfen wird, bevor eine Qualitätsminderung oder gar der Verderb eintritt.

Müssen bestimmte Warengruppen besonders intensiv getestet werden?

Ja, erfahrungsgemäß verändern sich fetthaltige Produkte besonders schnell, vor allem wenn es sich um zugesetzte Fette handelt, etwa frittierte Sachen. Da kann man innerhalb weniger Wochen eine Veränderung im Fett riechen. Das kann auch bei Chips und Nüssen passieren, wenn sich Fettsäuren lösen.

Wie viele Gläser Erdnussbutter musst du bei einer Charge öffnen, um die Qualität zu prüfen?

Da reichen in der Regel drei. Meistens kann man es schon vorher beurteilen. Denn die Produkte sind ja eigentlich einwandfrei, nur konnte der Hersteller sie aus irgendwelchen Gründen nicht loswerden. Bei manchen Produkten ist das MHD völlig unnötig. Salz, Zucker, Alkohol – was soll denn da passieren?

Aus welchen Gründen landen Waren bei Sirplus, abgesehen vom MHD?

Vor allem Logistik- und Organisationsfehler, einfach zu viel produziert. Dann haben wir Produkte mit fehlerhaften Etiketten oder die Fälle, in denen ein Unternehmen die selbst gesetzten Qualitätsanforderungen nicht erfüllt, wenn beispielsweise drei Prozent weniger Zucker drin ist als laut Rezept vorgesehen. In so einem Fall müsste die ganze Zutatenliste verändert werden. Und das ist leider viel teurer als Wegschmeißen. Aus der Landwirtschaft bekommen wir Produkte, die nicht den üblichen optischen Anforderungen entsprechen. Bei Sirplus kann man also sehen, was tatsächlich auf den Feldern wächst, schließlich gibt es nicht nur grade Möhren oder Gurken. Wir verkaufen die B-Ware.

In welchen Fällen musst du Waren ins Labor schicken?

Müssen tun wir das gar nicht. Aber wir haben manchmal so viel von einer bestimmten Charge, dass sich das lohnt. Zum Beispiel Popcorn, bei dem das MHD seit einem Jahr abgelaufen war. Säfte in Plastikflaschen, die seit drei Jahren abgelaufen waren, haben wir auf Weichmacher untersuchen lassen. Bislang war alles in Ordnung.

Lehnt ihr es manchmal ab, Waren ins Sortiment aufzunehmen?

Wir müssen uns schon fragen, warum die niemand kaufen wollte. Manchmal sind das neue Produkte, die noch keiner kennt. Wenn wir sie dann verkaufen, hat das für die Kund*innen oft Experimentcharakter – bei diesem niedrigen Preis können sie es mal probieren.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2019-1; Titelthema: Bioabfälle

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