Früher Abend am Tegeler See. Langsam steigt zarter Dunst über dem Wasser auf und taucht die Landschaft in zarte Pastellfarben. Im angrenzenden Wald hat der Specht das Klopfen eingestellt, zu hören ist nur noch das gelegentliche Rauschen der Blätter und Äste, die knarzend aneinander reiben. Wer dem Verkehrsgetöse und der städtischen Enge entfliehen und trotzdem nicht weit fahren möchte, für den empfiehlt sich ein Ausflug zum Tegeler See.
Um genauer zu sein: zur Nordseite des Sees. Anders als im Süden, wo ähnlich wie am Wannsee, fast das gesamte Ufer einbetoniert und bebaut wurde, gibt es hier noch Wander- und Trampelpfade, die mal zu kleinen Stränden, mal von dort weg in weite Waldgebiete führen. Im Gegensatz zum Schlachtensee, wo jeder Schritt wegen umherziehender Menschenmassen und Hundemeuten gut überlegt sein will, verlaufen sich hier die Besucherströme. Es entsteht das Gefühl, einen letzten innerstädtischen Geheimort entdeckt zu haben. Auch die Biber genießen die Ruhe. Sie haben im Tegeler See einen ihrer wenigen Rückzugsorte in Berlin. Wer genau hinsieht, entdeckt entlang des Ufers angenagte, zugespitzte Baumstämme, eine Biberburg, oder – mit viel Glück – kurz vor der Abenddämmerung die fast lautlos umherschwimmenden Wassertiere.
Die Ruhe und Abgeschiedenheit des Sees müssen auch vergangene Generationen beeindruckt haben. Davon zeugen die überlieferten Sagen. Eine davon berichtet von der unglücklichen Tochter des Tegeler Försters, der die Mutter die Hochzeit mit dem Auserkorenen verwehrte. Erst als es schrecklich in und um die Försterei zu spuken begann, hatte die Mutter ein Einsehen und das Mädchen konnte ihrem Liebsten das Jawort geben. Eine andere Sage erzählt von einem unsichtbaren „Aufhocker“, der Menschen besprang, die zu nah an einer alten Eiche, der „dicken Marie“, vorbeikamen. Entfernten sich die Menschen, so ließ auch der Aufhocker von ihnen ab. Die inzwischen 900 Jahre alte „dicke Marie“ kann heute noch in der Nähe der nördlichsten Spitze des Sees bewundert werden.
Es war nicht immer so idyllisch hier. In den 60er Jahren türmten sich die Phosphate aus den Waschmittelresten im ungeklärten Abwasser zu Schaumbergen auf dem See. In der Folge kippte das Wasser um, aus dem einstmals glasklaren Wasser wurde eine stinkende, leuchtendgrüne Brühe. Erst nachdem entsprechende Kläranlagen gebaut wurden und der See eine Drainage erhielt, die ihn noch heute stetig mit Frischwasser aus der Oberhavel versorgt, verbesserte sich die Wasserqualität wieder. Inzwischen wächst wieder Röhricht am Ufer, Fischotter haben sich angesiedelt und Seeadler schweben auf der Suche nach Beute über dem Wasser. Der „See am Tropf“ hat sich Dank des Engagements der Umweltschützer wieder stabilisiert.