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„Konservengläser sind hervorragende To-go-Becher“

Maria Giesecke, geboren 1985, studierte Europäische Ethnologie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität und arbeitet als Digital Communications & Relations Manager in Berlin. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Sophia betreibt sie den Food- und Travelblog www.insearchof.best. Über ihr Zero-waste-Experiment schreiben die Zwillinge auf www.refinery29.de/2-zwillinge-1-hype-maria-und-sophia-leben-5-tage-ohne-muell

Bloggerin Maria Giesecke über papierlose Fahrscheine, Experimente mit Seifen und die entscheidenden Fragen beim müllarmen Einkaufen

Frau Giesecke, wie kamen Sie auf die Idee, mit Ihrer Zwillingsschwester Sophia fünf Tage lang zu versuchen, keinen Müll zu produzieren und darüber tagebuchartig zu schreiben?

Das Thema ist in den sozialen Medien derzeit ziemlich virulent. Richtig berühmt ist inzwischen die New Yorkerin Lauren Singer, die schon seit zwei Jahren komplett ohne Müll lebt. Zufällig hat das Onlineportal refinery29 dann eine Serie namens „Zwei Zwillinge, ein Hype“ gestartet. Dabei geht es darum, die aktuellen Lebensoptimierungshypes, die im Internet kursieren, nachzustellen.

Wie gut waren Sie auf das Experiment vorbereitet?

Na ja, man achtet auf seinen Lifestyle und passt auf, sich nicht jeden Schrott in die Wohnung zu holen. Aber dieses taffe Zero-waste-Ding hatte ich noch nicht praktiziert. Deshalb bin ich gleich am ersten Tag in ein tiefes Loch gestürzt. Tägliche Rituale fielen weg, etwa morgens einen Kaffee für unterwegs oder einen BVG-Einzelfahrschein kaufen. Stattdessen muss man sich ein wiederverwendbares Gefäß für den Kaffee organisieren und eine App für papierlose Fahrscheine suchen. Auch das Frühstück, das ich mir sonst im Bioladen mitgenommen hatte, ging nicht mehr, weil es in Papier verpackt wird. Mittags haben wir im Büro immer Essen beim Lieferservice bestellt – für mich jetzt nicht mehr. Und ich wusste nicht einmal, wie ich mir die Hände waschen sollte, schließlich gab es im Büro nur Flüssigseife aus Plastikspendern. Am ersten Nachmittag war ich in einem ganz normalen Supermarkt und habe geguckt, was man ohne Verpackung einkaufen kann: nur etwas Gemüse und Obst. Oder halt eingelegte Sachen in Konservengläsern mit Schraubverschluss – die zählen für mich nicht zum Müll, weil ich sie nicht wegschmeiße, sondern wiederverwende. Fast alles, was ich bisher benutzt hatte, hat mit Müllproduktion zu tun. Das führte bei mir zu einem totalen Knoten im Gehirn: Was genau bedeutet zero waste und Nachhaltigkeit? Was ist zum Beispiel mit Papiermüll?

Was haben Sie in diesen fünf Tagen geändert?

Fast alles. Die fünf Tage habe ich als Recherchezeit genutzt, um viel auszuprobieren. Zum Beispiel welche Seife für die Haare funktioniert. Die eine verklebt die Haare, eine andere macht sie struppig, aber eine dritte ist okay. Oder wie ich selbst upcyceln kann, also Verpackung umfunktionieren und wiederverwenden. Konservengläser mit Schraubverschluss sind beispielsweise hervorragende To-go-Becher.

Können Sie das eingesparte Müllvolumen beziffern?

Meine Schwester hat das für jeden Tag unseres Experiments getrackt. Mein Müllausstoß ist wesentlich kleiner geworden, allein schon wegen des Lieferservices, den ich früher aus Faulheit bestellt hatte. Aber was die an Müll ins Haus bringen, das geht gar nicht.

Gehen Sie bitte gedanklich durch Ihre Wohnung und sagen uns, wo die Potenziale zum Müll reduzieren liegen!

Küche: Hier habe ich inzwischen jede Menge wiederverwendbare Gläser stehen. Besonders gut als Behälter für trockene Nahrungsmittel eignen sich die länglichen hohen Gläser von passierten Tomaten, weil man damit schön dosieren kann. Mit diesen Gläsern kann man in den Unverpackt-Laden gehen, um sich neu einzudecken. Wenn ich abends koche, bereite ich meistens noch etwas mehr vor als Mittagessen für den nächsten Bürotag und fülle damit meine Tiffinbox. Der zeitliche Aufwand, während der Mittagspause rauszugehen und einen Imbiss zu suchen, ist deutlich höher. Einkaufstaschen sollten etwas größer und stabiler sein, weil unverpackte Lebensmittel oft in einem Glas und damit relativ schwer sind. Für das Wasser unterwegs habe ich jetzt immer eine Bügelflasche mit, in der ursprünglich Limonade war. Bad: Meine Zahnbürste ist aus recyceltem Material gemacht – die beste Zahnbürste, die ich jemals hatte! Zahnputzstein am Stiel kann ich aber nicht empfehlen, es sei denn, man findet eklige Sachen richtig toll. Statt Bodylotion nutze ich selbstgemixte Öle: Argan-, Jojoba-, Patschuli- und Limettenöl. Klopapier natürlich nur aus recyceltem Papier. Zu den herkömmlichen Deos habe ich leider keine gute Alternative gefunden, die mit meiner Transpiration mithalten kann. Kleiderschrank: Klamotten gebraucht kaufen, auf keinen Fall online.

Für einen anderen „Zwillingshype“ haben Sie beide fünf Tage komplett auf jegliche Art Zucker verzichtet. Welches Experiment war härter?

Bei unserem Zuckerverzicht bekamen wir schnell schlechte Laune, weil ja wirklich überall Zucker drin ist, sogar in der Sojamilch. Da müsste man konsequenterweise wirklich Selbstversorger werden. Das ist beim Müll viel leichter. Ich habe in dieser Zeit 70 Stunden pro Woche gearbeitet, weil ich quasi zwei Jobs hatte, und nebenbei den Artikel geschrieben – selbst mit so wenig Zeit konnte ich mich um zero waste kümmern. Ich kann also mit ganz einfachen Mitteln meine Müllproduktion reduzieren. Beim Kaufen sind es zwei Fragen: Ist das Produkt, also der Inhalt, nicht die Verpackung, biologisch abbaubar? Und brauche ich es überhaupt?

Spart müllarmes Leben auch Geld?

Anfangs nicht, weil man zunächst in Großpackungen und ordentliche Gefäße investiert. Aber dann! Zum Beispiel muss ich nie mehr unterwegs Frühstück kaufen, weil ich immer Porridge im Haus habe. Abgesehen davon: Das Gefühl, nicht in einer Plastikwelt zu leben, ist schon sehr ein angenehmes.

Dieses Interview erschien in der BUNDzeit 2016-4

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