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„Haferwurzel ist für mich größerer Luxus als Hummer“

Michael Hoffmann, geboren 1967, kam nach Stationen unter anderem in der „Aubergine“ in München und im Hamburger „Vier Jahreszeiten“ 2000 nach Berlin, um die Küche des „Margaux“ zu übernehmen. 2014 schloss er das vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnete Restaurant und arbeitete nach einem Intermezzo bei der Kantine Neun in der Kreuzberger Markthalle 9 als Gastronomieberater.

Michael Hoffmann, Küchenchef und Inhaber des Berliner Sternerestaurants Margaux, über Resterezepte, No-Gos in der modernen Küche und Gemüseversorgung aus dem eigenen Garten

BUNDzeit: Herr Hoffmann, was servieren Sie im Margaux?

Michael Hoffmann: Wir haben zwei Menüs. Eines ist das Gemüsemenü. Ich mag den Begriff vegetarisch nicht, der hat so viel mit Verzicht, mit Askese zu tun. Das andere Menü besteht auch aus Gemüse, aber mit dem Zusatz Fisch und Fleisch. Wobei nicht in jedem Gang Fisch oder Fleisch vorkommt. Fisch und Fleisch sind hier eher Beilage.

Und was kommt Ihnen nicht auf den Tisch?

Wir verarbeiten kein Fleisch aus Massentierhaltung und keine überfischten Fische wie etwa Seezunge und Steinbutt. Thunfisch auch nicht mehr, weil so viele Delfine dabei in den Netzen draufgehen. Stopfleber ist indiskutabel, wobei die früher auch bei mir auf der Speisekarte gesetzt war und sich auch immer gut verkauft hat. Und es gibt kein Kalbsfleisch und kein Milchlamm, weil mir das ein bisschen wie Kindermord vorkommt.

Gibt es beim Gemüse Einschränkungen?

Wir kochen sehr saisonal und setzen die Produkte aus meinem Garten besonders in Szene. Dieses Jahr haben wir 171 verschiedene Sorten gezogen, inklusive Kräuter. Einiges baue ich in großen Mengen an, also 1.000 Pflanzen und mehr. Jedes Jahr ändert sich das Programm, weil ich immer etwas anderes ausprobiere. Wir kaufen nur Sachen wie Kartoffeln oder Zwiebeln dazu, weil ich für die zu wenig Platz zum Anbauen habe. Für Tomaten, Paprika, Auberginen und ähnliches haben wir ein Gewächshaus und einen Folientunnel, alles unbeheizt. Im Sommer sind wir zu 99 Prozent autark. Ab Oktober müssen wir ein bisschen mehr Biogemüse nachkaufen. Was es dann nicht mehr gibt, sind zum Beispiel Tomaten. Die Leute beschweren sich immer, dass die Tomaten nicht mehr schmecken. Dann sollen sie doch Tomaten essen, wenn Tomatenzeit ist! Wir verarbeiten grundsätzlich nur die eigenen. Jetzt im Oktober ernten alle Tomaten, die noch unreif am Strauch hängen, und legen sie wie Gewürzgurken ein, daraus machen wir eine grüne Tomatenvorspeise.

Bei Sternerestaurants denkt man normalerweise eher an Hummer oder Trüffel.

Bei den meisten Mitbewerbern spielen diese exklusiven Produkte noch eine sehr große Rolle, weil sie sich beim Kochen an Restaurantführern orientieren. Für mich sind Topprodukte eher alte Gemüsesorten wie etwa die Haferwurzel, die ich in meinem Garten frisch ernte. Das ist für mich größerer Luxus, als einen Hummer aus der Bretagne ankarren zu lassen. Die Strukturen in der Spitzengastronomie sind in Tat etwas eingefahren. Durch meinen Garten wurde ich aber einigermaßen geerdet. Wenn man jahrelang auf eine bestimmte Schiene setzt, muss man erst einmal umdenken und Ersatz finden. Beispielsweise auch mal etwas mit Makrele und Kabeljau anfangen, nicht bloß mit diesen bedrohten „Luxusfischen“ wie Steinbutt. Mir ist das anfangs auch nicht immer leicht gefallen. Es gibt zur Gemüseküche wenig Literatur. Klar gibt es Gemüsekochbücher, aber in denen steht überall dasselbe drin.

Wie reagieren die Gäste auf die Gemüsemenüs?

Die ganz große Mehrheit findet das super. Viele sagen „Endlich übernehmt ihr Verantwortung“ oder auch „Endlich gibt es in einem Sternelokal auch mal was anderes zu essen“. Weil irgendwie ähneln sich die Speisekarten doch alle. Hier findet man halt etwas anderes. Und langsam sind die Gäste auch unserer Umwelt gegenüber aufgeschlossener, für immer mehr Leute ist es selbstverständlich, dass wir nicht jeden Tag Fleisch essen müssen. Die Hälfte unserer Gäste bestellen das Gemüsemenü, dafür sind wir schließlich bekannt. Und es kommen auch viele Vegetarier gezielt zu uns. Wenn aber Messen wie die IFA sind, dann wird zu 80 Prozent Fisch und Fleisch bestellt. Die Leute hatten dann einen stressigen Tag und wollen ein schickes Restaurant, fertig.

Berücksichtigen die Bewertungssysteme der Restaurantkritik auch die Bemühungen um nachhaltiges Wirtschaften in der Küche?

Wir haben unsere Bewertung bei Michelin gehalten, aber keinen zweiten Stern bekommen. Es fällt halt auf, wenn jemand von denen hier zum Essen kommt und wir ihn zufällig kennen, was wird dann gegessen? Fisch und Fleisch, nicht das Gemüsemenü. Das finde ich natürlich ein bisschen schade, schließlich habe ich mich auf diese Sache spezialisiert und die Produkte kommen ja auch aus eigenem Anbau. Richtig offen sind diese Leute nicht. Aber was soll‘s:
Wir kochen nicht für ein Zeugnis am Jahresende, sondern für unsere Gäste. Die sollen ihre Freude haben.

Welche Rolle spielt Resteverwertung im Margaux?

Aus wirtschaftlichen Gründen und aus Respekt vor dem Produkt versuchen wir alles zu verarbeiten. Beispiel Knollensellerie: Da nehmen wir auch die Wurzeln, die sehen aus wie Rastalocken. Die Schale wird ausgekocht. Das Grün wird entweder auch ausgekocht oder getrocknet, um es zu Gewürzsalz zu verarbeiten. Auch Fleisch wird so gut genutzt wie möglich. Wenn wir zum Beispiel Ente hatten und in den Karkassen noch lauter Fleisch drin ist, machen wir daraus Geflügelkroketten.

Bedeutet Resteverarbeitung mehr Improvisation?

Nicht nur. Es gibt ja viele klassische Gerichte, die auf Resten basieren, zum Beispiel Eintöpfe. Oder traditionelles Hamburger Rundstück. Das ist ein Brötchen mit einer kalten Scheibe Braten mit Gewürzgurke und Bratensauce. Oder Tiroler Gröstel aus Resten von Tafelspitz, Kartoffeln, Gurken und Ei. Diese Dinge schmecken nicht nur sehr gut, mit etwas Mühe kann man sie auch schön in Szene setzen.

Das Interview erschien in der BUNDzeit 2013-4

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