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„Wohnungsneubau ist notwendig, aber kein Allheilmittel“

Wibke Werner, geboren 1977, studierte Jura in Berlin und arbeitete von 2006 bis 2009 als Rechtsanwältin für Mietrecht in der von ihr mitgegründeten Kanzlei Ahrens, Werner, Roek. 2010 wechselte sie zum Berliner Mieterverein und ist dort als Mitarbeiterin der Geschäftsführung in Fragen des Mietrechts, der Wohnungspolitik und der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Wibke Werner vom Berliner Mieterverein über die Möglichkeiten, den Anstieg der Mieten zu bremsen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen

Wie viele Wohnungen fehlen in Berlin?

Aufgrund des Bevölkerungswachstums gehen wir davon aus, dass mehrere Zehntausend Wohnungen in Berlin fehlen. Aber Wohnung ist nicht gleich Wohnung! Gebraucht werden mehrheitlich preisgünstige Wohnungen. Nachgefragt werden überwiegend Wohnungen innerhalb des S-Bahn-Ringes. Ohne Berücksichtigung von Mietpreisen und Lage ist aber das Senatsziel von fast 11.000 neuen Wohnungen jährlich nicht hilfreich. Der Mieterverein mahnt an, sofort jedwede Beseitigung preiswerten Wohnraums zu verhindern, beispielsweise durch ein Verbot der Zweckentfremdung und die Eindämmung von Umwandlung in Eigentumswohnungen in Gebieten mit sozialer Erhaltungsverordnung, sowie die Potenziale im vorhandenen Gebäudebestand zu nutzen.

Wie sieht es mit dem Leerstand aus?

Nach der Vattenfall-Stromzählererfassung standen im Juli 2010 130.000 Wohnungen leer. Davon soll jedoch laut einer Eigentümerbefragung, die die Investitionsbank Berlin in Auftrag gegeben hat, nur etwa ein Drittel wirklich dem Markt zur Verfügung stehen. Die anderen sind aufgrund ihres schlechten Zustands nicht vermietbar, werden gerade saniert oder stehen aus spekulativen oder sonstigen Gründen leer. Der Verband der Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen meldet kontinuierlich zurückgehenden Leerstand. In den Bezirken innerhalb des S-Bahnrings stehen danach weniger als zwei Prozent der Wohnungen leer. Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt geht die Rechtsprechung von einem erforderlichen Leerstand von mindestens drei Prozent als Fluktuationsreserve aus.

Welcher Wohnungstyp fehlt?

Das kann man nicht generell beantworten. Bei den derzeit auf den Markt kommenden Neubauwohnungen, die ja bis jetzt fast alle einen Abnehmer finden, liegt die durchschnittliche Wohnungsgröße dieser zu fast 50 Prozent als Einzeleigentum angebotenen Wohnungen bei rund 100 Quadratmeter. Doch darf man sich nicht täuschen lassen. Die Haushaltsstruktur und Einkommensverhältnisse der Berliner und auch der Zuwanderer legen nahe, dass vor allem kleinere und preisgünstige Wohnungen fehlen. Das belegt im Übrigen auch der neue Mietspiegel. Denn wesentlich stärker als im Durchschnitt steigen die Mieten für kleine und einfach ausgestattete Wohnungen.

Beseitigt Neubau die Wohnungsknappheit?

Ja und nein, es kommt also darauf an, wie zielgenau ein zusätzliches Angebot geschaffen wird. Nach Angaben der Wohnungswirtschaft kann die monatliche Nettokaltmiete bei neu gebauten Wohnungen nicht unter acht Euro pro Quadratmeter liegen. Bei den derzeitigen Neubauten vor allen privater Investoren liegen sie eher bei elf bis dreizehn. Wenn es darum geht, Wohnraum für breite Schichten zu schaffen, liegt die Schmerzgrenze bei sechs Euro nettokalt, schließlich kommen noch Betriebs- und Heizkosten hinzu. Die Hälfte der Berliner Haushalte muss mit einem Nettohaushaltseinkommen von weniger als 1.500 Euro auskommen und gibt jetzt schon durchschnittlich 28 Prozent davon für die Bruttokaltmiete aus. Es ist vollkommen unrealistisch, dass mit Hilfe öffentlicher Förderung oder baurechtlicher Vorgaben überwiegend preisgünstiger  Neubau errichtet wird, zumal die privaten Investoren derzeit keine Bereitschaft zum Bau solcher Wohnungen zeigen. Zudem kann die Entlastung nicht schnell geschaffen werden. Wohnungsneubau dauert. Bis die Wohnungen fertig gestellt sind, könnte die Nachfrage, so die Prognose des Senats, schon wieder abgenommen haben.

Werden in Berlin überhaupt so viele hochpreisige Wohnungen nachgefragt?

Die Zahl der Baugenehmigungen und Baufertigstellungen ist in den letzten Monaten deutlich angestiegen. Fast alle neuen Wohnungen werden als Eigentum oder teure Mietwohnung angeboten. Auch wenn aufgrund der Knappheit Wohnungssuchende bereit sind, mehr Geld für das Wohnen zu zahlen, wird die Nachfrage nach diesen Wohnungen unserer Einschätzung nach schwächer werden. Dann tritt das Grundproblem in den Vordergrund: Wie kann man Neubau auch für Haushalte mit mittleren und niedrigen Einkommen erstellen? An einen „Sickereffekt“, der auch diese Haushalte durch Umzugsketten letztendlich von teuren Neubauten profitieren lässt, glauben wir nicht, solange nicht das Mietrecht durch Kappung der Mieten bei Wiedervermietung geändert wird.

Wie lässt sich der Anstieg der Mieten bremsen?

Dazu braucht es ein Bündel von Maßnahmen. Für bestehende Mietverhältnisse muss der Mieterhöhungsspielraum weiter gesenkt werden, zum Beispiel durch eine verlängerte Frist von vier Jahren bei der 15%igen Kappung, durch eine Verringerung der Mieterhöhung nach Modernisierung und durch die Berücksichtigung auch preiswerterer Bestände in den Mietspiegeln Der Knackpunkt aber sind die Wiedervermietungen, denn bei neuen Verträgen dürfen die Mieten gegenwärtig beliebig hoch sein. Hier muss eine Begrenzung her, die die Miethöhe mit einem kleinen Aufschlag an die ortsübliche Vergleichsmiete koppelt.

Tut der Senat genügend, um die vielen leer stehenden öffentlichen Gebäude einer sinnvollen Nutzung zuzuführen?

Ich vermisse beim Senat die Fantasie. Er ist schon sehr stark auf den Neubau als Lösung fixiert und vergisst dabei, für den vorhandenen Gebäudebestand kreative Lösungen zu finden. Man kann leer stehende nicht mehr benötigte öffentliche Gebäude in Wohnraum umwandeln und bei privaten Eigentümern den Umbau von Gewerberäumen zu Wohnungen fördern. Für die bessere Nutzung der vorhandenen Wohnungen sollte der direkte Wohnungstausch ohne Mieterhöhung zumindest bei den städtischen Wohnungen ermöglicht werden. Hier können wir von Schweden lernen. 

Das Interview erschien in der BUNDzeit 2013-3

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