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„Jeder Mensch ist ein Gärtner“

Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau, machte eine Ausbildung zum Tontechniker und studierte Dramaturgie, bevor 1990 nach Berlin zog. Er ist nach eigener Aussage „privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller“. Zum Thema Gärtnern erschien unter anderem „Mein Leben im Schrebergarten“ (bei Manhattan, 2007) und „Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten“ (bei Manhattan, 2013). Foto: Christian Thiel

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer über Maulwürfe, Wunderkerzen und die Vertreibung aus dem Paradies

Herr Kaminer, Sie sind als gebürtiger Moskauer und langjähriger Berliner ein Großstadtmensch. Woher kam der Wunsch nach einem Garten?

Der kam von meiner Frau. Sie erinnerte sich an den Garten ihrer Großmutter im Kaukasus, wo die ganze Familie im Schatten eines großen Aprikosenbaums zusammensaß. Und sie sucht immer nach neuen Sorgenobjekten, um die sie sich dann kümmern kann. Sie wollte einen Hund oder einen Garten. Und ich dachte, mit dem Garten hat man weniger zu tun als mit dem Hund, was wahrscheinlich gar nicht stimmt. Auf diese Weise sind wir in eine Berliner Schrebergartenkolonie hineingeraten und haben sehr viele tolle Menschen kennengelernt. Den Garten mussten wir aber nach zwei Jahren wegen Problemen mit Spontanvegetation abgeben. Es waren natürlich keine Probleme unsererseits, das ganze Vokabular mit Spontanvegetation stammt von der Prüfungskommission des Schrebergartenvereins. Sie haben ganz klare Vorstellungen, wie jeder Garten auszusehen hat. Wie viele Blumen, wie viele Nutz- und Schönpflanzen, wo sie zu stehen haben. Wir wollten bei uns aber die Natur mitgestalten lassen.

Sind Schrebergärten exterritoriales Gebiet?

Schrebergartenkolonien sind in der Tat eine ziemlich abgeschlossene Welt. Mit ihren eigenen Gesetzen und Lebensansichten, ihren eigenen Helden und Verbrechern. Für mich war das eine neue Erfahrung. Ich habe nach 20 Jahren in Deutschland dieses Land neu kennengelernt. Ein anderes Deutschland, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist und wo auch keine Züge hinfahren, obwohl man eigentlich gerade beim Zugfahren oft Schrebergärten sieht. Die sind ja oft an den Bahngleisen, vielleicht weil die Deutsche Bahn gern die versuchte Erde dort verpachtet.

Jetzt haben Sie einen großen Garten irgendwo im nördlichen Brandenburg. Wie sieht es dort aus?

Wir haben versucht, ein paar exotische Pflanzen anzusiedeln. Zum Beispiel japanische Wunderkerzen, die ich für 13,90 Euro das Stück gekauft habe. Die blühen fünf Jahre lang jedes Jahr in einer anderen Farbe. Meine Schwiegermutter aus dem Kaukasus hat diese Pflanzen sofort erkannt. In Russland heißen sie „Morgendämmerung“, wachsen an jeder Ecke und kosten nichts. Ich glaube, die Deutschen mögen es gern exotisch. Dabei haben heimische Pflanzen ihre Vorzüge. In Brandenburg wächst zum Beispiel die Brennnessel besonders gut. Aber wer will schon in einer Brennnesselplantage leben? Wir lassen uns nicht auf jede spontane Vegetation ein, sondern ersetzen die Brennnessel durch etwas, was ähnliche Überlebenschancen hat, aber schön aussieht. Zum Beispiel Meerrettich. Meerrettich wird auch groß und mag sandigen Boden. Wächst gut, sieht gut aus, kann man essen, wunderbar.

Was ist der Unterschied zwischen dem deutschen Schrebergarten und der russischen Datscha?

Allein schon die Anzahl der Gartengesetze. Hier hat man eine ganz klare Vorstellung, was am Ende rauskommen soll und die Gärten sind sich tatsächlich sehr ähnlich. In Russland ist das anders. Natürlich geben sich die Russen auch große Mühe und pflanzen ihre Kartoffeln und Gurken, die genauso wichtig oder noch wichtiger als irgendwelche Blumen sind. Die Selbstversorgung spielt dort eine große Rolle – nicht etwa, weil man nicht alles kaufen kann, sondern weil die Menschen ein sehr großes Misstrauen gegenüber dem Zeug haben, was ihnen im Laden angeboten wird. Misstrauen ist das grundlegende Gefühl in Russland. Alle fühlen sich doppelt und dreifach verarscht durch den Sozialismus und durch den Kapitalismus ebenso. Alles, was in den Geschäften liegt, ist ihrer Meinung nach Fälschung, extra schlecht gemacht oder überteuert. Der Garten ist der Rückzugsort aus der ganzen kapitalistischen Schweinerei – genauso wie es früher eine Alternative zu diesem totalitären Sozialismus darstellte. Eine schwache Alternative, aber immerhin eine. In deutschen Gärten spielt der Wille zur Umgestaltung eine große Rolle. Die Leute sagen: Okay, Gott hat es gut gemeint, aber wir wissen es besser.

Ist das Gärtnern eine Ursehnsucht der Menschen?

Auf jeden Fall. Ich habe in meinem letzten Buch „Diesseits von Eden“ die These aufgestellt, dass jeder Mensch einen Migrationshintergrund hat, weil er sich aus irgendeinem Garten vertrieben fühlt. So wie wir aus dem Schrebergarten. Die Vorstellung einer paradiesischen Landschaft hat jeder. Man versucht, sein eigenes Paradies im Maßstab 1:10000000 nachzubauen. Jeder Mensch ist im Grunde ein Gärtner.

Sie beschreiben in „Diesseits von Eden“ sehr entspannt, wie der Maulwurf schachbrettartige Muster in Ihrem Garten anlegt. Darf in Ihrem Garten jeder machen, was er will?

Na ja, wer ist dieser jeder? Wir haben diesen Maulwurf, der unglaublich fleißig ist. Oder es sind mehrere faule. Aber außer ihm und ein paar Insekten und den Fischen im Teich ist niemand. Ach so, die Vögel noch. Wir haben Wildgänse und Kraniche, die aber nicht wirklich weit weg fliegen. Die trainieren das ganze Jahr über eine große Reise. Irgendwie scheint da die Zeit im Kreis zu laufen: Die Vögel kreisen herum und fliegen doch nicht nach Afrika, die Maulwürfe kommen immer an der falschen Stelle heraus und müssen deshalb weitergraben, sogar die Mücken bewegen sich im Kreis. In diesem Kreislauf der Natur fühlen wir uns sehr heimisch. Man hebt in der Stadt so schnell ab – entweder hält man sich für etwas Größeres oder für etwas Kleineres. Draußen im Garten findet man genau den richtigen Platz, zwischen Brennnesseln und Maulwurfhügeln. 

Das Interview erschien in der BUNDzeit 2014-2

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