Während Mitte Dezember vom in Montreal verabschiedeten UN-Übereinkommen zur biologischen Vielfalt ein zwar schwaches, aber immerhin positives Signal zum Artenschutz ausging, kam aus Potsdam eine schlechte Nachricht: Brandenburger Landnutzer*innen dürfen weiterhin Pestizide in Naturschutzgebieten ausbringen und in Flora-Fauna-Habitat- Gebieten (FFH-Gebieten) düngen und spritzen. Auch für die Gewässerrandstreifen wird es keinen wirksamen Schutz vor Pestiziden und Dünger geben. Die Verantwortung dafür tragen die beiden größeren Koalitionsfraktionen, die den mit den Naturschutzverbänden und den Landnutzerverbänden ausgehandelten Gesetzesentwurf zum Insektenschutz nicht mehr unterstützen. SPD und CDU handeln dabei in Übereinstimmung mit dem Bauernverband und den anderen im Lobbyverein „Forum Natur Brandenburg“ zusammengeschlossenen Landnutzerverbänden.
Die als „Insektendialog“ bezeichneten Verhandlungen zwischen Naturschutzverbänden, Landnutzer*innen und Regierungsfraktionen gingen auf die erfolgreiche Volksinitiative „Artenvielfalt retten – Zukunft sichern!“ von BUND, NABU und weiteren Organisationen zurück, die 2019 über 73.000 Menschen in Brandenburg unterschrieben hatten. Weil parallel die Landnutzerverbände eine auf den ersten Blick ähnliche, aber weitgehend substanzlose Insektenschutz-Volksinitiative gestartet hatten, die knapp die 20.000 erforderlichen Unterschriften bekam, beschloss die Landtagsmehrheit, Verhandlungen mit den Trägern beider Volksinitiativen zu führen, um deren Forderungen in ein Gesetz zu überführen.
Dünger und Pestizide
Im Frühjahr 2021 einigten sich nach einem Moderationsverfahren alle Beteiligten unter anderem auf folgende Eckpunkte: Ab Januar 2023 keine Pestizide mehr in Naturschutzgebieten, ab 2028 auch in FFH-Gebieten nicht mehr. Ebenfalls 2028 sollten in allen Naturschutzgebieten und FFH-Gebieten mineralische Stickstoffdünger verboten werden. Für Gewässerränder war ab 2023 ein ganzjährig begrünter Streifen von fünf Metern Breite vorgesehen, auf dem Pflanzenschutzmittel und Dünger einschließlich Gülle und Festmist verboten sein sollten. Für die betroffenen Landwirt*innen war ein finanzieller Ausgleich vorgesehen. Die Vereinbarung sah außerdem vor, dass die Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grüne entsprechende Gesetzesentwürfe dem Landtag zügig zur Beschlussfassung vorlegen sollten. Das ist bis heute nicht geschehen.
Im Herbst 2022 wurde deutlich, dass SPD, CDU und Landnutzerbände nur die „weichen“ Teile der Vereinbarung realisieren wollten, etwa eine Insektenkoordinierungsstelle und Förderung von Kommunen, die Blühstreifen anlegen. Zur Begründung, warum es nun doch keine Pestizid- und Düngeverbote in den sensibelsten und wertvollsten Gebieten geben soll, argumentierten SPD und CDU, dies habe sich durch Regelungen auf Bundesebene erledigt. Diese Behauptung ist jedoch falsch. So schränkt das Bundesrecht den Pestizideinsatz in FFH-Gebieten überhaupt nicht ein und in Naturschutzgebieten erlaubt es ihn eingeschränkt. Auch beim Schutz der Gewässerrandstreifen hätte der Gesetzesentwurf zum Insektenschutz deutliche Fortschritte gebracht. Um den Gesetzesentwurf zu retten, waren die Naturschutzverbände zu schmerzhaften Kompromissen bereit. So hatten sie vorgeschlagen, die Dünge- und Pestizidverbote in den FFH-Gebieten aus dem Gesetzesentwurf zu nehmen – vergeblich, denn am Ende verweigerte sich die vor allem die SPD allen verbindlichen Regelungen.
Die Aufkündigung des Insektendialogs durch SPD und CDU ist nicht nur eine Brüskierung der über 73.000 Wahlberechtigten, die die Artenschutz-Volksinitiative unterstützt hatten, sondern ein konkreter Beitrag zur Fortsetzung des Artensterbens. Vorausgesetzt das Landesverfassungsgericht gibt grünes Licht, werden die Naturschutzverbände nun das Volksbegehren einleiten und wieder Unterschriften für ein Gesetz zum wirksamen Insektenschutz sammeln.
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2023-1. Mehr zum Schwerpunktthema Artensterben:
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