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BUND Berlin kritisiert SPD-Vorschlag eines Berlin-Tickets für 29 Euro neben dem deutschlandweiten 49-Euro-Ticket

15. Dezember 2022 | Verkehr, ÖPNV

BUND-Berlin-Geschäftsführer Tilmann Heuser zum Vorstoß von SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

Foto: Tenzin Peljor (CC BY-SA 2.0)

Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin, sagt: „Natürlich hört sich ein möglichst günstiges Monatsticket für den Nahverkehr für Alle gut an. Angesichts von Kosten in dreistelliger Millionenhöhe wäre ein zusätzliches Berlin Ticket für 29 Euro pro Monat allerding klima- und sozialpolitisch kontraproduktiv. Statt sie per Gießkanne zu verteilen, sollten die knappen Berliner Haushaltsmittel besser dafür eingesetzt werden, gezielt Menschen mit geringen Einkommen zu entlasten und mehr Geld in den Ausbau des ÖPNV, des Radverkehrs, in den Klimaschutz und das Stadtgrün zu stecken.

Wer sich mit dem deutschen Steuer- und Abgabenrecht auskennt, weiß: Ein 29-Euro-Ticket für alle würde bedeuten, dass beispielsweise Studierende, Seniorinnen und Senioren sowie Transferleistungsempfangende faktisch mehr für ein Monatsticket zahlen müssten als Normalverdienende. Bei Nutzung bestehender steuerrechtlichen Vorschriften im Rahmen der sogenannten Gehaltsumwandlung können Arbeitnehmer und Arbeitgeber bereits heute bei einem Ticketpreis von 49 Euro insgesamt mehr als 20 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen einsparen. Ein 29 Euro-Ticket für alle Arbeitnehmer, das zudem bundesweit im Nahverkehr gültig ist, ließe sich daher ohne einen Euro aus dem Berliner Landeshaushalt realisieren. Es müsste dafür sichergestellt sein, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, ihren Beschäftigten die Nutzung dieser steuer- und abgabenrechtlichen Vorteile zu gewähren. Im Vergleich zu den bisherigen Ticketpreisen oder den Kosten für die Nutzung eines Pkw ist dieser Preis für Pendler bereits sehr günstig.

Sozialpolitisch grotesk wäre es, wenn sozialversicherungspflichtig beschäftigte Normalverdiener künftig unter dem Strich weniger für ein ÖPNV-Ticket zahlen würden als Menschen mit geringem Einkommen, die diese Vorteile des Steuerrechts nicht nutzen können. Konkret müssten Landesmittel fließen, um Sozialticket, Seniorenticket und Semesterticket deutlich im Preis zu reduzieren.“

 

Forderungen kompakt in Stichpunkten:

  • Zusätzliche Subventionierung aus dem Berliner Haushalt nur für Menschen mit geringen Einkommen, die beim Kauf des Deutschland-Tickets bestehende Steuervorteile nicht nutzen können. Dies ist bei Sozialticket, Seniorenticket und Semesterticket der Fall.
  • Stattdessen zusätzliches Geld für Aufrechterhaltung und Ausbau des ÖPNV-Angebots
  • Anspruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer, dass ihnen ihr Arbeitgeber die Kosten für das Monatsticket in Form einer Gehaltsumwandlung erstattet und seine dabei durch die Abgabenfreiheit entstehenden Kostenvorteile weitergibt.
  • Bund muss einheitliche Regelung für steuerliche Anrechnung von ÖPNV-Tickets für Beschäftigte schaffen.

 

Zur Erläuterung der einkommensteuerlichen Regelungen:

Kaufen Arbeitnehmer:innen ihr ÖPNV-Monatsticket selbst, dann bezahlen sie es aus ihrem AN-Netto-Einkommen (nach Abzug von Steuern und Abgaben). In Abhängigkeit der Entfernung zwischen Arbeits- und Wohnort können sie – bei Überschreiten der Werbungskostenpauschale bzw. Arbeitnehmerpauschbetrag von 1200 Euro (ab 2022) – die Entfernungspauschale steuerlich geltend machen (Höhe der steuerlichen Entlastung hängt vom individuellen Grenzsteuersatz ab).

Wird das Monatsticket als Firmen- bzw. Jobticket über den Arbeitgeber bezogen, schlägt das komplizierte deutsche Steuerrecht zu, zusätzlich noch verschärft durch die Regelungen zur Entfernungspauschale.

Bezogen auf das Arbeitgeber-Brutto (das etwa 122 Prozent des AN-Brutto beträgt) bedeutet ein Firmenticket mit Kosten von 49 Euro (statt Auszahlung als normaler Lohn) zunächst mal eine Einsparung von circa 21 Euro bei den Abgaben zur Renten- und Sozialversicherung (Der Einspareffekt verteilt sich hierbei fast hälftig auf AN und AG). Die steuerlichen Effekte hängen dann einerseits von der gewählten Variante, zum anderen aber auch der Absetzbarkeit der Entfernungspauschale ab (mit und ohne Abzug der Kosten für das Firmenticket). Der Arbeitgeber müsste die rund zehn Euro Einsparung bei den Abgaben an den Arbeitnehmer abtreten, damit dieser einen Realpreis von unter 29 Euro monatlich zahlt.

Wer es ganz genau wissen will:

Variante 1: Das Firmenticket wird dem/der Arbeitnehmer:in zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt (individuelle Zulage oder Betriebsvereinbarung):

Wird das Firmenticket als AG-Leistung zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt, ist es seit 2019 nach § 3 Nr. 15 EStG wieder steuerfrei (und abgabenfrei).

Zum Vergleich: würden AN stattdessen eine Lohnerhöhung um 49 Euro pro Monat (AN-Brutto) bekommen, würde nach Sozialabgaben und Steuern bei einem AN-Netto von 3.049 Euro netto 27,12 mehr ausgezahlt bekommen. D.h.: das Ticket „kostet“ die AN bei dem entsprechenden Einkommen faktisch 27,12 Euro statt 49 Euro (Ersparnis SV-Abgaben: 9,97 Euro, Steuer – desto höher der individuelle Steuersatz, desto mehr sparen die AN ein.

Der AG „spart“ sich in diesem Fall die AG-Anteile zur Sozial- und Rentenversicherung (11,33 Euro).

Aber: Die Kosten für das Ticket werden auf der Jahressteuerbescheinigung der AN ausgewiesen und ggf. von der angesetzten Entfernungspauschale abgezogen. Bei Pendler:innen mit größeren Entfernungen, die tatsächlich die Entfernungspauschale ansetzen können (sprich: die über die Werbungskostenpauschale von 1.200 Euro kommen), relativiert sich der Steuervorteil, der Vorteil hinsichtlich der eingesparten SV-Abgaben bleibt aber..

 

Variante 2: Gehaltsumwandlung

Mit Wirkung zum 01.01.2020 hat der Bundesgesetzgeber Grundlage mit der Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EstG zusätzlich die Option geschaffen, mit der eine Gehaltsumwandlung des Jobtickets und auch des Arbeitgeberzuschusses zu den Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel möglich ist.

Hinsichtlich der insgesamt „eingesparten“ SV-Abgaben bleibt die Rechnung bezogen auf das AG-Brutto gleich: insgesamt müssen bezogen auf das AG Brutto ca. 21 Euro weniger abgeführt werden.

Steuerlich wird es jedoch komplizierter, da in diesem Fall eine pauschale Lohnsteuer in Höhe von 15% oder 25% zu entrichten ist. Der Unterschied der Pauschalversteuerung liegt dabei in der Anrechnung des Jobtickets bzw. des Arbeitgeberzuschusses auf die Entfernungspauschale des Arbeitnehmers (https://salfy.de/jobticket-artikel/):.

Pauschalversteuerung mit 15% Lohnsteuer: Bei dieser Variante muss der Arbeitgeber die Aufwendungen auf der Jahreslohnsteuerbescheinigung eintragen. Es erfolgt eine Anrechnung auf die Entfernungspauschale des Arbeitnehmers.

Pauschalversteuerung mit 25% Lohnsteuer: In diesem Fall entfällt die Anrechnung der Zuwendung auf die Entfernungspauschale des Arbeitnehmers. Eine Eintragung der Zuwendung in der Jahreslohnsteuerbescheinigung ist nicht erforderlich.

Diese Pauschalversteuerung kann vom AG oder vom AN getragen werden.

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