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„Förster wollen machen, Naturschützer wollen lassen“

BUND-Waldexpertin Angela von Lührte Angela von Lührte, geboren 1952, studierte in Berlin Biologie und promovierte an der TU Berlin über den Berliner Wald. Sie arbeitet als freiberufliche Biologin mit den Schwerpunkten Naturschutzplanung und Jahrringanalysen.

Die Berliner Waldexpertin Angela von Lührte über forstwirtschaftliches Selbstverständnis, Wildnis und idealen Wald

Wie unterscheiden sich die einzelnen Wälder in Berlin?

Tatsächlich haben die Berliner Wälder einen unterschiedlichen Charakter. Der Grunewald, ehemals eine typische märkische Kiefernkiste, entwickelt sich immer mehr zu einem schönen Mischwald und er ist das Ausflugsziel. Der Spandauer Forst ist weitab von der Stadt. Er ist ziemlich grundwassernah und hat mit der Kuhlake und den zahlreichen alten Eichen viele verwunschene Ecken. Die Köpenicker Wälder haben insgesamt die größte Flächenausdehnung mit einer eindeutigen Dominanz der märkischen Kiefer.

Seit einigen Jahren sind die Wälder des Landesbetriebs Berliner Forsten gleich mit zwei Siegeln zertifiziert. Was ist der Unterschied zwischen der Zertifizierung nach Forest Stewardship Council (FSC) und Naturland?

Sie ergänzen sich. FSC ist schon ein gutes Label, Naturland stellt noch höhere Ansprüche an die Bewirtschaftung. Entsprechend waren Berliner Forsten zunächst nicht begeistert, auch weil ein Flächenanteil von zehn Prozent als Monitoringfläche nun nicht mehr bewirtschaftet werden darf. Hier soll die natürliche Waldentwicklung beobachtet werden.

Haben in einer solchen Wildnisfläche die Förster eine Verkehrssicherungspflicht?

Mittlerweile gibt es verschiedene Gerichtsurteile, nach denen nicht jeder Trampelpfad im Wald wie ein Weg im Park gesichert werden muss. Trotzdem müssen die Förster entlang von Straßen und Hauptwegen tätig werden und gelegentlich den einen oder anderen Baum fällen. Das gefällt vielen Waldbesuchern nicht. Andere beschweren sich allerdings, wenn Baumkronen und Totholz im Wald liegen bleiben. Hier müsste man noch mehr Aufklärungsarbeit leisten, so etwas wird ja gemacht, um mehr Nährstoffe im Wald zu halten, und Totholz spielt ja eine immens wichtige Rolle für die Biodiversität.

Verkehrssicherung meint den Schutz der Menschen vor dem Wald. Müsste auch andersherum gesichert werden?

Die Zerschneidung der Berliner Wälder durch Straßen ist leider schon recht groß. Das führt zu einer Entwertung der Erholungsfunktion durch Lärm und Abgase, es gibt zahlreiche Wildunfälle. Auch viele andere Tierarten, wie Amphibien, werden Opfer des Straßenverkehrs.

Läuft aus Sicht des Naturschutzes alles gut in den Berliner Forsten?

Nicht alles. Es fehlt etwa eine verbindliche Naturschutzkonzeption. Ein bisschen macht so jeder Revierförster, was er für richtig hält. Es gibt eine Biotopkartierung in Berlin, aber die ist in die Forstplanung noch nicht integriert. Auch die Vorkommen von seltenen Tier- und Pflanzenarten werden bei der Bewirtschaftung nicht immer berücksichtigt, auch nicht beim Mischwaldprogramm. Zudem kritisieren selbst einige Förster die Hiebsätze für Altbestände als zu hoch. Gerade bei den Altersklassen über 140 Jahre herrscht in allen Wäldern ein Mangel, da sollte man auf jeden Einschlag verzichten. Das sind die Charakterbäume des Waldes mit Habitatfunktionen für zahlreiche Pflanzen und Tiere. Die machen einen Wald erst wirklich interessant.

Wie sieht der ideale Wald in unserer Region aus?

Er würde neben den heute dominierenden Kiefern größtenteils aus Eichen bestehen, die mit unseren sandigen Böden gut zurechtkommen, aber nicht so schnell wachsen wie die Kiefern. Und es wären verschiedene andere Laubbaumarten dabei, etwa Linde und Hainbuche. Wenn die Standorte feuchter sind, kommen noch Esche, Ulme und Erle dazu. Und an einigen Orten wachsen durchaus auch Buchen, auch wenn sich die Experten darüber nicht einigen können, ob sie die hier sich aufgrund der geringen Niederschläge so richtig wohl fühlen. Gut wäre außerdem eine gewisse Entflechtung, in den stadtnahen Bereichen mehr Erholung, stadtferner mehr Wildnis. Ich fände es auch richtig, wenn größere Flächen völlig aus der Holznutzung genommen würden, damit der Stadtmensch auch mal einen Eindruck von Waldwildnis bekommt, ohne dass er gleich nach Kanada fahren muss. Ein Beispiel dafür ist der Sihlwald, der Stadtwald von Zürich. Dort wächst der Wald jetzt wild, mit Förstern, die aber nicht mehr pflanzen und Holz ernten. Das wäre auch für Berlin spannend, widerspricht aber dem Selbstverständnis der hiesigen Förster, die gern den Eindruck erwecken, ohne sie gäbe es keinen Wald. Der Naturschutz will die Natur machen lassen, die Förster wollen gestalten.

Wäre es möglich, einen urwaldähnlichen Zustand in Deutschland wiederherzustellen?

Ich denke schon. Allerdings dauert das lange und viele der typischen Urwaldarten, wie zum Beispiel bestimmte Holzkäfer, sind schon verschwunden. Außerdem wird man besonders in Großstadtnähe immer irgendwelche menschlichen Einflüsse haben.

Zum Beispiel die Jagd?

Zurzeit muss schon noch gejagt werden, weil in Berlin Rehe und Damwild sehr viel von der  Verjüngung abfressen. Wirklich regulieren kann die Jagd aber nicht, nur dezimieren, das sieht man an den Wildschweinen, die nehmen trotz intensiver Jagd zu. Dazu haben Wildtiere zu viele Gegenstrategien. Grundsätzlich gehört Wild zum Wald, wir wissen nur nicht mehr, in welchem Maß.

Ist absehbar, wie sehr der Klimawandel einen Waldumbau erfordert?

Für das knapper werdende Wasserangebot ist die Entwicklung zu Laub- und Mischwäldern auf jeden Fall notwendig und ja auch im Sinne des Naturschutzes. Die Wissenschaft streitet darüber, ob man mehr „Exoten“ ansiedeln soll, die angeblich besser mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen. Ich denke, unsere heimischen Arten schaffen das ganz gut – wenn man sie lässt.

Dieses Interview erschien in der BUNDzeit 2015-3

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