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100 Jahre Nachhaltigkeit

Der Grunewald, gesehen vom Drachenberg

Der Dauerwaldvertrag rettete 1915 den Berliner Wald. Heute könnte er Vorbild für einen sinnvollen Umgang mit Grün in der Stadt sein.

Man stelle sich das einmal vor: Der Grunewald könnte heute so aussehen wie der gleichnamige Ortsteil. Oder wie Dahlem, Lichterfelde oder eine der anderen Villenkolonien, die Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Waldboden sprossen. Von 1871 bis 1895 hatte sich die Einwohnerzahl Berlins auf 1,6 Millionen verdoppelt und der Zuzug riss nicht ab. Wer es sich leisten konnte, zog an den westlichen Stadtrand, etwa in die feinen Wohnungen am Kudamm, wo nicht allzu lang zuvor Spargel auf den Feldern rechts und links des unbefestigten Reitwegs wuchs. Oder noch ein Stückchen weiter; die neuen Schienenstrecken nach Westend und zum Wannsee erschlossen bisherige Waldgebiete und machten die Stadtflucht äußerst bequem.

Eigentlich sprachen alle Umstände für eine weitere Ausdehnung Berlins in den Wald: das starke Wachstum, der Aufstieg eines ebenso statusbewussten wie ruhebedürftigen Bürgertums, Bodenspekulanten und Banken, die vom Bauboom profitierten  – und eine preußische Forstverwaltung, die den Grunewald in erster Linie als eine nicht versiegende Geldquelle betrachtete. Selbstverständlich brachten Grundstücke beim Verkauf mehr ein als Holz. Bis 1909 hatte die Forstverwaltung schon Hunderte Hektar Wald verkauft, die die Investoren aufteilten und mit großem Gewinn weiterverkauften. Die privatisierten Areale änderten schnell ihr Aussehen: Wo eben noch Moore waren, entstanden mit Dianasee, Herthasee, Hubertussee und Königssee vier künstliche Seen, die nur den Besitzern der angrenzenden Grundstücke, nicht aber der Öffentlichkeit zugänglich waren.

Die Sorge um den Totalverlust der in allen Schichten beliebten Erholungsorte im Grünen führte zu einer im Kaiserreich noch nicht dagewesenen Protestwelle. Zeitungen veröffentlichten Aufrufe gegen die Waldvernichtung mit zigtausend Unterschriften, der neue Waldschutzverein gewann viele Mitglieder, die sogenannte Waldfrage avancierte zum überregional diskutierten Thema. Nach zähen Verhandlungen einigte sich Preußen mit Berlin mit seinen Nachbargemeinden 1915 auf einen beispiellosen Vertrag. Für 50 Millionen Goldmark, umgerechnet etwa 250 Millionen Euro, erwarb Berlin rund 10.000 Hektar Wald. Neben dem Grunewald gelangten so die Forste Grünau, Köpenick, Tegel und Potsdam in städtischen Besitz. Wichtigste Auflage des Kaufs war der ewige Erhalt der Flächen als Wald, daher die Bezeichnung Dauerwaldvertrag. Berlin darf den Wald weder veräußern noch beleihen. Der Dauerwaldvertrag war gewissermaßen der erste große Erfolg der Berliner Umweltbewegung.
 

Ein Sieg über den Sachzwang

Im Vorfeld des Dauerwaldvertrags mangelte es nicht an Warnungen. Der Bedarf an Bauland ließe sich nur im Wald decken, Rücksicht auf Natur und Freizeitbedürfnisse blockiere notwendige Entwicklungen. Kommt Ihnen diese Argumentation bekannt vor? Auch vor dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld – und bei jedem anderen strittigen Bauvorhaben seither  – hörte man diese Töne, man musste nur Wald durch Feld ersetzen. König Sachzwang hat offensichtlich alle politischen Umstürze überlebt. Und damals wie heute hält die behauptete Alternativlosigkeit dem Realitätscheck nicht stand. Es mangelt ja nicht an Fläche, wie einstöckige Gewerbebauten, riesige Parkplätze und überdimensionierte Straßen zeigen. Wenn die Stadt wachsen soll, muss sie in die Höhe wachsen, nicht in die Breite.

Die Parallelen zwischen 1915 und 2015 sind auffällig: Wieder ist der Wohnraum knapp, auf unbebauten Flächen liegt ein hoher Druck. Dank des Dauerwaldvertrags sind zwar nicht mehr die Berliner Wälder gefährdet, dafür aber viele kleine grüne Nischen: Kleingartenkolonien, alte Bahngelände und die letzten landwirtschaftlich genutzten Flächen wie die Elisabethaue in Pankow und die Buckower Felder in Neukölln. Was Berlin jetzt braucht, ist eine vergleichbare Übereinkunft wie vor 100 Jahren. Dieser Dauerwaldvertrag 2.0. wäre gewissermaßen ein Dauergrünvertrag, in dem sich das Land dazu verpflichtet, seine Grün- und Freiflächen dauerhaft zu bewahren. Berlin braucht seine Grünzüge als Erholungsgebiete, als Frischluftschneisen und als Rückzugsort für Vögel, Insekten und andere Wildtiere. Denn für diese verschlechtern sich jenseits der Stadtgrenzen aufgrund der industrialisierten Landwirtschaft die Lebensbedingungen deutlich – es sei denn sie haben das Glück, in einem Wälder zu leben, die sich im Besitz Berlins befinde. Denn auch auf Brandenburger Boden wirtschaftet Berliner Forsten gemäß ökologischer Zertifizierung: ohne Kahlschläge, Düngemittel und Pestizide, dafür mit stillgelegten Flächen, auf denen Totholz zahlreichen Arten ein Zuhause bietet.

Der Beitrag erschien in der BUNDzeit 2015-3 

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