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Kein Gas mehr ins Feuer

12. Mai 2022 | BUNDzeit-Artikel, Klimaschutz

Der russische Überfall auf die Ukraine hat auf brutale Weise daran erinnert, dass es keine Alternative zum Ausstieg aus den fossilen Energien gibt. Das gilt ganz besonders für die Wärmeversorgung.

Wirtschaftliche Verflechtung sichert den Frieden, lautet eine der Grundüberzeugungen der europäischen Politik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Tatsächlich ist es heute unvorstellbar, dass EU-Mitglieder gegeneinander Krieg führen. Im Fall der Fossil-Connection zwischen Russland und Europa wissen wir seit dem 24. Februar aber auch, dass sie einen Krieg in Europa nicht nur nicht verhindert, sondern auch mitfinanziert hat.

Über 55 Prozent des Erdgases, das in Deutschland vor allem zum Heizen verbrannt wird, kommt aus Russland; außerdem etwas mehr als ein Viertel des Mineralöls und rund die Hälfte der Steinkohle. Anders als Öl und Kohle lässt sich Gas mangels Pipelines nicht einfach durch Lieferungen aus anderen Staaten ersetzen. Wenn man weiter auf Gas setzt, bleibt nur die Wahl zwischen Erdgas aus Russland und Flüssiggas. Letzteres kommt entweder aus dem Sklavenhalteremirat Katar oder als extrem umweltschädlich gewonnenes Frackinggas aus Amerika. Die Lage ist also schwierig.

Frieren für Frieden und Freiheit?

Entscheidend ist, dass Europa sich jetzt schnell aus dieser toxischen Geschäftsbeziehung befreit, um den Aggressor einen hohen Preis für die Fortsetzung oder gar Ausweitung des Kriegs zahlen zu lassen. Allerdings rufen deutsche Politiker*innen nur ungern zum sparsamen Umgang mit Energie auf, sogar eine durchweg vernünftige Maßnahme wie das Tempolimit findet keine Mehrheit im Bundestag – obwohl Umfragen darauf hinweisen, dass eine Mehrheit der Bundesbürger*innen dafür ist.

Beim Thema Heizen könnte die Zustimmung sogar noch deutlicher ausfallen: Einer von der ARD beauftragten Befragung zufolge waren zwei Drittel bereit, Engpässe bei der Energieversorgung in Kauf zu nehmen, wenn das hilft, die russische Invasion der Ukraine zu stoppen. Nun den schon beschlossenen Kohleausstieg und den fast komplett vollzogenen Atomausstieg infrage zu stellen, um bloß nicht sparsam mit Energie umgehen zu müssen, ist kontraproduktiv. Schließlich verlängert man damit nur die Abhängigkeit von den fossilen Energien und öffnet den nächsten Erpressungen durch Fossildiktaturen Tür und Tor.

Langfristig nur Vorteile

Einschränkungen – oder genauer gesagt: Sparsamkeit und Effizienz – beim Gasverbrauch bedeuten ohnehin nicht zwangsläufig frieren. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur liegt die durchschnittliche Raumtemperatur in Europa bei 22 Grad. Wenn sie um ein Grad Celsius sinkt, verringert sich der Gasverbrauch in Europa um 2,5 Prozent. Es gibt offensichtlich Sparpotenziale beim Verbrauch. Am meisten bringt jedoch der Umstieg auf die Erneuerbaren.

Im Stromsektor decken regenerative Energien schon über 41 Prozent des Bruttoverbrauchs. Beim Heizen, für das die Haushalte durchschnittlich 70 Prozent ihres Energieverbrauchs aufwenden, liegt der Anteil aus regenerativen Quellen dagegen erst bei rund 16 Prozent. Die Wärmewende steht also noch weitgehend am Anfang. Aber sie ist unvermeidlich. Zum einen, weil die Preise für fossile Energien schon vor Kriegsbeginn stark gestiegen waren und ihren weiteren Verlauf niemand vorhersehen kann. Zum anderen – und wesentlich bedeutsamer – weil sich aus dem völkerrechtlich bindenden Pariser Klimaschutzabkommen Verpflichtungen ergeben.

Weil der Gebäudesektor in absehbarer Zeit treibhausgasneutral werden muss, kann es für die „Brückentechnologie“ Erdgas keine jahrzehntelange Perspektive mehr geben: Spätestens 2040 muss Schluss sein mit der Gasverbrennung. Angesichts der heutigen Abhängigkeit ist das ein ehrgeiziges Vorhaben. Doch im Gegenzug winken positive Nebeneffekte. Das fängt bei der Versorgungssicherheit, Kostentransparenz und Planbarkeit an. Wer heute mit Erdwärme heizt und die zum Betrieb der Wärmepumpe nötige Elektrizität mit Photovoltaik vom eigenen Dach gewinnt, hat zunächst zwar hohe Investitionen, aber so gut wie keine laufenden Kosten und auf Jahre absolute Planungssicherheit. Das gilt für Einfamilienhausbewohner*innen genauso wie für Vermieter*innen und die öffentliche Hand.

Bürger*innen werden Produzent*innen

Weitere Vorteile: Die energetische Sanierung, ohne die die Wärmewende nicht funktioniert, kann abgehängte Quartiere wieder lebenswert machen. Jeder für sie ausgegebene Euro bleibt in der Region, statt in die Erdöldiktaturen zu wandern. Wenn Fern- und Nahwärmenetze neu verlegt werden, nutzen vorausschauende Kommunalverwaltungen die Gelegenheit, um Glasfaserkabel zu verlegen und die Straßen neu (sprich: menschen- statt autofreundlich) zu gestalten. Mit dem Umstieg auf die Erneuerbaren auch beim Heizen steigt überall der Strombedarf, aber nicht die Notwendigkeit, neue Großkraftwerke und Hochspannungsleitungen zu bauen. Damit rücken die Bürger*innen ins Zentrum der Energieversorgung, aus Verbraucher*innen werden Produzent*innen und Teiler*innen.

Um treibhausgasneutral zu heizen, braucht es deutlich mehr Lenkung und Förderung für Sanierung, Heizungstausch und Ausbau der Erneuerbaren. Damit die Wärmewende nicht am Fachkräftemangel scheitert, muss die Politik eine Ausbildungsoffensive starten und endlich aufhören, aus ideologischen Gründen Zuwanderung zu behindern. Es wird zu Zumutungen für Immobilienbesitzende und Wohnende kommen, zu Unannehmlichkeiten in der Übergangszeit und zu dem einen oder anderen Zielkonflikt zwischen Klima- und Naturschutz. Am Ende steht aber die unbezahlbare Gewissheit, durch die Wärmeversorgung nicht länger Kriege, Diktaturen und die globale Erhitzung zu befeuern.

Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 2022-2. Mehr zum Schwerpunktthema „Wärmewende“:
Wärmewende kompakt: Worauf es bei der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ankommt
Wärmewende konkret: Wie die Fernwärme dekarbonisiert werden kann
Wärmewende in Zahlen
Ökotipp: Mit Erneuerbaren heizen
Die Konsequenzen des Kriegs in der Ukraine
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