Berlin, 02.08.2023: 100 Tage nach Antritt der neuen Berliner Landesregierung aus CDU und SPD herrscht eine gewisse Ratlosigkeit, wie „das Beste für Berlin“ – so die Überschrift des Koalitionsvertrags – eigentlich genau aussehen soll.
In der Mobilitätspolitik ist es der zuständigen Senatorin Manja Schreiner (CDU) gelungen, den Eindruck zu erwecken, die Verkehrswende stoppen zu wollen. Der Radwegestopp, den sie selbst als „Atempause“ bezeichnete, hat für große Verwirrung gesorgt und die Stadtgesellschaft – von Initiativen und Verbänden bis zur Industrie- und Handelskammer – als auch die Bezirke, vor den Kopf gestoßen. Und obwohl am Ende der Prüfung nach Aussage der Verwaltung nur drei Projekte vorläufig ganz gestoppt worden sind, hängen laut anderen Quellen viel mehr Vorhaben fest.
Entschlossener zeigt sich Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD), weiter die Landschaft mit neuen Wohnsiedlungen zubetonieren zu wollen. Klima- und Artenschutz spielen offenbar auch bei der bereits zweimal von der SPD aufgehaltenen, ökologisch orientierten Novellierung der Bauordnung keine Rolle. Schneller Bauen soll vielmehr offenbar ohne große Rücksicht auf Biodiversität, Klimaschutz und Klimaanpassung mit einem entsprechenden Gesetz forciert werden.
Klimapolitische Ambition könnte hingegen das Sondervermögen „Klimaschutz, Resilienz und Transformation“ zeigen. Kreditfinanziert sollen zunächst fünf Milliarden Euro für die Beschleunigung der Dekarbonisierung und die Anpassung an die Klimakrise zur Verfügung stehen. Dafür hat der Senat einen Gesetzentwurf beschlossen. Die Ankündigung, besonders Vorhaben zu forcieren, mit denen schnell Klimagas-Emissionen reduziert werden können, scheint folgerichtig. Da aber derzeit weder die konkreten Projekte noch die genauen Kriterien für deren Auswahl bekannt sind, ist eine Bewertung noch nicht möglich.
Dazu erklärt Tilmann Heuser, Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND Berlin):
„Wir erwarten von Schwarz-Rot klare Aussagen und vor allem klare Taten, wie die großen Krisen der Gegenwart in Berlin bewältigt werden sollen. Klimakrise, Artensterben und nicht zuletzt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine erfordern ein massives Umdenken und Umsteuern in sehr vielen Bereichen.
Wir brauchen eine echte Mobilitätswende mit einer deutlichen Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs und keine bloße Antriebswende. Die reine Elektrifizierung des Autoverkehrs löst die meisten Probleme nicht. Dazu gehören Ressourcen- und Flächenverbrauch, Verkehrssicherheit und Lärmbelastung.
Auch die Bauwende muss Berlin energisch angehen. Keine weitere Versiegelung und möglichst überhaupt keine Abrisse darf es mehr geben. Stattdessen sind Umnutzung und bessere Ausnutzung bereits bestehender Bauten oder versiegelter Flächen nötig.
Vor allem muss bei den riesigen Transformationserfordernissen die Stadtgesellschaft mitgenommen werden. Ansätze in dieser Richtung konnten wir bei der aktuellen Koalition noch gar nicht erkennen. Zwar reklamieren CDU und SPD die dringend nötige Etablierung eines neuen Miteinanders für sich, doch gerade die von massiven kommunikativen und organisatorischen Mängeln begleitete Prüfung der Radwegprojekte vertiefte die Gräben eher.
Ohne Verlässlichkeit, Vertrauen und einen ehrlichen Austausch über Ziele wird der nötige Aufbruch nicht gelingen. Das gilt insbesondere auch für die Etablierung klarer Verantwortlichkeiten und Prozesse im Zuge der Verwaltungsreform.“