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„Jetzt muss gemacht werden, worüber früher nur geredet wurde“

03. Mai 2019 | BUNDzeit-Artikel, Energiewende, Klimaschutz, Kohle

Christine Herntier, Bürgermeisterin von Spremberg und Vertreterin der Lausitz-Kommunen in der Kohlekommission, über Zukunftstechnologien, Fehler der Wendezeit und Eisenschlamm in der Spree.

Christine Herntier, Jahrgang 1957, ist Diplom-Ingenieurökonomin und seit Januar 2014 parteilose Bürgermeisterin von Spremberg. Sie ist Sprecherin der Lausitzrunde, einem mandatierten Bündnis kommunaler Vertreter der Region. In dem Gremium beschäftigen sich die Kommunen mit den Auswirkungen der Klima- und Energiepolitik auf die Lausitz. Die politische Quereinsteigerin aus der Wirtschaft leitete zuletzt 18 Jahre lang einen Textilbetrieb mit 120 Mitarbeiter*innen in Spitzenzeiten. Foto: privat

BUNDzeit: Frau Herntier, wie sah es in der Lausitz vor der Wende und in den frühen Neunzigerjahren aus?

Christine Herntier: Wirtschaftlich war die Lausitz Jahrhunderte durch die Textilherstellung geprägt. Reichtum kam aber erst vor rund 150 Jahren in die Region, als man begann Braunkohle zu fördern, zu verstromen und zu veredeln. Die Hochzeit der Kohle war zweifellos in den Siebzigerjahren. Das hatte damit zu tun, dass Braunkohle der einzige Energierohstoff in der DDR war. Für Öl und Gas vom großen Bruder Sowjetunion mussten schließlich Devisen gezahlt werden. So versuchte man mit aller Gewalt, die gesamte Republik über die Braunkohle aus dem Mitteldeutschen Revier und der Lausitz mit Energie zu versorgen. Zu diesem Zweck errichtete man in den Fünfzigerjahren hier im Stadtgebiet von Spremberg das Kombinat Schwarze Pumpe mit seinen Kraftwerken. Da lagen Fluch und Segen dicht beieinander. Die Leute hatten ein gutes, sicheres Einkommen, viele Kinder wurden geboren, junge Leute waren hier. Aber gleichzeitig waren die Auswirkungen auf Landschaft, Umwelt und Gesundheit enorm. Leider wurde die Zeit nach der Wende nicht genutzt, um einen wirklichen Wandel herbeizuführen. Im Gegenteil, die Abhängigkeit der Region von der Kohle hat sich verschärft, weil die anderen Industriezweige abgewickelt wurden.

Und als Bürgermeisterin müssen Sie sich die Gewerbesteuer von einem einzigen Hauptzahler, dem Betreiber des Kraftwerks Schwarze Pumpe, holen?

Nein, von der LEAG als ehemaligem Hauptzahler bekommen wir im Moment überhaupt keinen Cent. Spremberg erhält seine Gewerbesteuer von den kleineren Unternehmen und Gewerbetreibenden in der Stadt. 2011 fing Vattenfall als der damalige Hauptgewerbesteuerzahler an, wegen des Atomausstiegs Gewerbesteuer in Millionenhöhe von uns zurückzuholen. 2015 und 2016 hat sich das wiederholt. Es geht aber gar nicht um die Steuereinnahmen. Die Energieindustrie ist hier systemrelevant. Sie bietet gut bezahlte Arbeitsplätze, die wir als Kommunen genauso brauchen, damit die Leute hier wohnen, einkaufen und Familien gründen.

Wie bewerten Sie das Ergebnis der Kohlekommission?

Es ist eine Chance, die wir davor nicht hatten. Es ist besser, den Prozess mitzugestalten, als nur Betroffener zu sein, was wir bisher waren.

Der BUND und die anderen Umweltverbände finden, dass der Kohleausstieg bis 2038 zu spät kommt und auch der Pfad dorthin zu wenig konkret ist. Hätten Sie sich nicht auch über einen Fahrplan gefreut, der mehr Klarheit bringt?

Was Korridor und Ausstiegsdatum angeht, müssen in Deutschland auch künftig Systemstabilität, Versorgungssicherheit und akzeptable Energiepreise gewährleistet sein. Wir haben uns darauf verständigt, in den Jahren 2023, 2026, 2029 und 2032 den Stand zu überprüfen, um den Druck auf die Strukturmaßnahmen aufrechtzuhalten. Da müssen jetzt alle mal Gas geben! All das, worüber in der Vergangenheit nur geredet wurde, muss jetzt gemacht werden. Wir in Spremberg sehen Wasserstoff als das Zukunftsthema. Und wir wollen Batterietechnologie, Speicherung und Verteilung von Energie an den jetzigen Kraftwerksstandorten halten. Ich sehe unsere Region nicht als Blockierer. Solange ich Bürgermeisterin bin, werden wir nach jeder Chance greifen.

Wie stellen Sie sich die Nachfolgelandschaft vor, wenn mit den Tagebauen Schluss ist?

Ich bekomme sehr viel Besuch von Interessenten, die dort Anlagen zur Erzeugung von erneuerbarem Strom aufstellen wollen. Da sind aber die Braunkohle- und Rekultivierungspläne, die ja Gesetzescharakter haben, entscheidend. Ansonsten ist das Lausitzer Seenland das große Thema, was für den Tourismus sicher einige Chancen bringt. Und als Spremberger Bürgermeisterin wünsche ich mir natürlich, dass man das Problem der Verockerung der Spree in den Griff kriegt, auch wenn das viel Geld kostet.

Dieses Problem vergrößert sich in der Zukunft, wenn weitere Tagebaue erschlossen werden. Nun hat die Kommission sich gegen neue Tagebaue ausgesprochen. Allerdings ist umstritten, wie „neuer Tagebau“ definiert wird. Ist zum Beispiel Welzow-Süd II einer?

Gott sei Dank liegt das nicht in der Zuständigkeit einer Bürgermeisterin. Aber ich denke, man wird auch dort auf einen Kompromiss steuern. Darin sind wir ja nun geübt.

Müssten jetzt nicht die schon genehmigten Förderungskapazitäten reduziert werden? Schließlich empfiehlt die Kommission, bis 2030 die Kapazität der Braunkohlekraftwerke auf maximal neun Gigawatt zu reduzieren.

Nicht umsonst ist der erste Check 2023, wenn zehn Gigawatt Atomkraft vom Netz gehen – und vorher wird niemand genaue Aussagen treffen können. Ich kann den Befürwortern eines schnellen Kohleausstiegs nur raten, die Kraft nicht in Aktionen und Appelle gegen die Kohle zu verschwenden. Richten Sie Ihre Kraft lieber darauf, die Energieversorgung in Deutschland neu aufzustellen.

Allerdings ist den Steuerzahlenden nur schwer zu vermitteln, dass viel Geld in bestimmte Regionen geht, ohne dass eine klimapolitische Gegenleistung kommt.

Die Gegenleistung hat die Lausitz schon in den letzten 30 Jahren gebracht! Sie hat Menschen in Massen verloren. Wo würde Deutschland heute in seiner Klimabilanz stehen, wenn das nicht passiert wäre? Und wir liefern weiter. Man sollte den Lausitzern zugestehen, dass sie viel geleistet haben. Und wir wollen doch gemeinsam den Skeptikern in ganz Europa zeigen, dass die Energiewende gelingt. Und ich bitte Sie: 40 Milliarden Euro in 20 Jahren, davon 18 Milliarden für die Lausitz – das sind 900 Millionen pro Jahr. Bei dem Rückstand, den die Lausitz gegenüber den anderen Revieren aufzuholen hat, ist das angemessen. Und es ist gut investiertes Geld.

Das Interview führte Sebastian Petrich. Es erschien in der BUNDzeit 2019-2.

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