Der Vorstoß von Kultursenator Joe Chialo (CDU), die Zentral- und Landesbibliothek in der Galeries Lafayette einzuquartieren, wirkt zwar etwas unvorbereitet, lenkt die Diskussion aber in die richtige Richtung. Statt intakte Häuser abzureißen, den Bauschutt ins müllgeplagte Brandenburg zu exportieren, massig Energie durch frisch hergestellten Stahl und Beton zu verschwenden und die letzten grünen Freiflächen zu verbauen, müssen die Bestandsgebäude intelligent genutzt werden.
Wenn Gebäude schon 100 oder mehr Jahre stehen, haben sie mittlerweile gute Chancen auf eine zweite und dritte Nutzung. Viele frühere Brauereien, Fabriken oder Kaufhäuser dienen heute als Gewerbe- oder Büroflächen. Selbst alte Gefängnisse lassen sich zu Wohnhäusern oder Hotels umfunktionieren, wie die ehemaligen Haftanstalten in Rummelsburg und in der Kantstraße zeigen. Doch so wie Stadtplanung und Bauwirtschaft bis in die 1980er-Jahre die Blockrandbebauung der Gründerzeit für Stadtautobahnen und Neubauten opfern wollten, was damals die Hausbesetzungsbewegung maßgeblich verhinderte, geht es heute der Nachkriegsmoderne an den Kragen.
Abriss Ost
Ende September begann am Flughafen BER der Abriss des sogenannten Generalshotels, das seit 1951 zur Begrüßung von in Schönefeld gelandeten Staatsgästen diente. Obwohl alle Fraktionen des Brandenburger Landtags in seltener Eintracht den Erhalt dieses baugeschichtlich wichtigen Zeugnisses forderten, besteht der Bund auf den Abriss, weil ein inzwischen überholter Plan vorsieht, auf der Fläche Maschinen der Flugbereitschaft abzustellen. In Potsdam will die kommunale Bauholding ebenfalls noch in diesem Herbst den Staudenhof abreißen, ein intaktes Wohngebäude von 1971, das nicht ins Leitbild Preußen-Disneyland passt. Die 180 kleinen Wohnungen beherbergten bis zuletzt Geflüchtete und fehlen in der Stadt, die 2023 1.470 weitere Schutzsuchende aufnehmen muss.
Am Berliner Alexanderplatz gelang es zwar, das Haus des Reisens und das Haus des Berliner Verlags unter Denkmalschutz zu stellen und das Haus der Statistik vor dem Abriss zu retten. Doch der lange Riegel auf der Nordseite – 1969 gebaut als Haus der Elektroindustrie – muss weg, falls der 30 Jahre alte Kollhoff-Plan mit den bis zu 13 Hochhäusern verwirklicht wird.
Abriss West
Im Westen sieht es nicht besser aus. Als reichte nicht die Endlosbaustelle in der City West, wo seit 2018 Teile des Kudamm- Karrees abgerissen werden und nun der Neubau ins Stocken geraten ist, will die vom österreichischen Milliardär René Benko gegründete Signa-Holding das letzte Kaufhaus des Boulevards abreißen. Anstelle des Wertheim-Hauses von 1971 sieht der im Juni gekürte Siegerentwurf einen 133 Meter hohen Turm mit mehr als 130.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche vor, darunter nur 5.000 Quadratmeter Wohnfläche.
Auch das Karstadt-Kaufhaus in der Wilmersdorfer Straße wird wohl 2024 schließen und abgerissen werden. Die Grundstückseigentümerin möchte stattdessen einen Neubau für Wohn- und Geschäftszwecke hochziehen. Vergleichsweise gut kommt Karstadt Leopoldplatz davon. Der 1978 errichtete Bau wird nur entkernt und verliert seine charakteristische Waschbetonfassade. Für Kritik sorgt, dass nach der Aufstockung neben 30.000 Quadratmetern Büro- und 15.000 Quadratmetern Verkaufsfläche nur 5.000 Quadratmeter Wohnund 2.000 Quadratmeter Gemeinwohlfläche entstehen sollen.
Es gibt aber auch gute Beispiele. Das ehemalige Finanzamt Wilmersdorf in der Blissestraße (Baujahr 1971) wurde 2022 als Büro- und Geschäftshaus saniert. Der Neckarhof auf dem Kindl-Gelände in Neukölln bekam 2021 neben energetischer Sanierung ein weiteres Geschoss in Lehm- und Holzbauweise und außerdem flexible Grundrisse, die den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden können. 2022 zog das Kleine Grosz-Museum in eine ehemalige Tankstelle (Baujahr 1956) in der Bülowstraße. Keine zwei Jahre nach der Stilllegung des Flughafens Tegel übernahm die Beuth-Hochschule das Terminal A. Für das denkmalgeschützte Gebäude des 2008 stillgelegten Flughafens Tempelhof dagegen ist noch immer kein langfristiges Nutzungskonzept, geschweige denn das Geld für die dringend nötige Sanierung in Sicht.
Abriss-Atlas
Bundesweit 480 geplante oder unlängst durchgeführte Abrissvorhaben listet der Abriss-Atlas von Architects for Future und Partnern samt Foto und Kurzbeschreibung auf, darunter 29 in Berlin und Brandenburg.
www.crowdnewsroom.org
Rote Liste
Das KulturerbeNetz Berlin hat die Berliner Rote Liste bedrohter Baudenkmäler kartiert und unterscheidet zwischen den Kategorien kritisch, gefährdet, bedroht, zerstört, ungewiss, verfremdet und gerettet.
www.kulturerbenetz.berlin/rote-liste
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 23-4. Mehr zum Schwerpunktthema Secondhand:
Secondhand: Was wir brauchen, ist nicht neu
„Wir brauchen Strategien für mehr Effizienz“
Berliner Bauschutt in die Prignitz?
Ökotipp Schenkboxen
Mitmachgelegenheit: Zero-Waste-Karte aktualisieren
Secondhand in Zahlen