Die Bekleidungsindustrie gilt als Inbegriff des nicht nachhaltigen, geradezu unethischen Wirtschaftens: Mit Tiefstpreisen bringt sie Menschen dazu, immer wieder neue Produkte zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen und bald wieder aussortieren – obwohl die Textilherstellung für ausbeuterische Arbeitsbedingungen und umweltschädliche Produktionsverfahren bekannt ist. Doch mittlerweile boomt der Handel mit Secondhandklamotten und das nicht allein in Großstädten und in der Ökoszene. Lag der weltweite Umsatz mit gebrauchten Textilien 2012 noch bei 11 Milliarden US-Dollar, so betrug er 2021 schon 36 Milliarden; Fachleute prognostizieren ein weiterhin steiles Wachstum in den kommenden Jahren.
Bedeutet der florierende Handel mit Secondhandbekleidung, dass Produktionsbedingungen und Abfallvermeidung mittlerweile immer mehr Menschen bewegen? Oder eher, dass sich die kapitalistische Verwertungslogik auf weitere Teile der Wirtschaft ausdehnt? Vermutlich beides. Es zeigt aber vor allem, dass Verhaltensänderungen im großen Stil durchaus möglich sind. Von allein kommen diese Veränderungen freilich nicht. Deshalb ist es grundsätzlich gut, dass die demokratischen Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus 2021 eine Zero-Waste-Strategie beschlossen haben, die die Berliner*innen dabei bestärken und unterstützen soll, Dinge zu reparieren und wiederzuverwenden.
Reparieren
Das kostet natürlich Geld. Im aktuell im Landesparlament diskutierten Doppelhaushalt 2024/25 plant die schwarz-rote Koalition jedoch, die Zuwendungen für den entscheidenden Posten im Bereich Abfallvermeidung massiv zusammenzustreichen. Der BUND fordert, die Unterstützung für Anti-Müll-Initiativen wie Repaircafés, Leih- und Tauschtreffpunkte, Abfallberatungseinrichtungen und Projekte gegen Lebensmittelverschwendung mindestens auf dem bisherigen Niveau weiterzuführen. Konkret bedroht ist beispielsweise die Finanzierung des Hauses der Materialisierung, das zum Haus der Statistik am Alexanderplatz gehört und unter anderem Werkstätten und ein Materiallager beherbergt.
Ein guter Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft ist dagegen der Reparaturbonus, den Schwarz-Rot einführen will. Für Reparaturen soll es Zuschüsse aus der Landeskasse geben. Dabei sollte man sich am Vorbild Österreich orientieren. Dort bekommt, wer ein Elektrooder Haushaltsgerät reparieren lässt, die Hälfte der Reparaturkosten erstattet – bis zu 200 Euro pro Kopf und Jahr. Mit insgesamt 500.000 Euro für die Jahre 2024 und 2025, die der Berliner Haushaltsentwurf für den Reparaturbonus vorsieht, wird man aber nicht weit kommen. Für die acht Millionen Einwohner*innen der Alpenrepublik stehen dagegen 130 Millionen Euro in vier Jahren zur Verfügung. Doch auch diese Summe dürfte zu knapp kalkuliert sein, schließlich wurden in den ersten 15 Monaten schon fast 70 Millionen ausgezahlt.
Retten
Mit einzelnen Pilotprojekten und Initiativen allein ist es jedoch nicht getan – es ist höchste Zeit, das Secondhandprinzip großflächig zu verankern. Hilfreich dafür ist ein Zero-Waste- Vorhaben, das die Umweltverbände lange forderten und das sich inzwischen etabliert hat. Seit Sommer 2020 betreibt die BSR in Reinickendorf ein Gebrauchtwarenkaufhaus, die NochMall. Auf über 2.000 Quadratmetern verkauft der landeseigene Entsorgungsbetrieb Secondhandartikel, die nicht nur ansprechend präsentiert, sondern auch geprüft, gereinigt und wenn nötig und möglich instand gesetzt werden. Über mangelnde Nachfrage kann sich die NochMall nicht beschweren, trotzdem ist eine Ausweitung des Geschäfts vorerst nicht in Sicht. Erst einmal, so die Vorgabe von oben, soll das Gebrauchtwarenhaus schwarze Zahlen schreiben.
Wozu das denn? Es ist absurd, das Wegwerfen und Verbrennen brauchbarer Dinge mit Abfallgebühren zu finanzieren, nicht aber ihre Wiederverwendung. Derzeit speist sich das Angebot der NochMall im Wesentlichen aus dem, was Berliner*innen direkt am Kaufhaus oder auf drei ausgewählten Recyclinghöfen als Gebrauchtwaren abgeben. Auf den anderen elf Recyclinghöfen besteht diese Möglichkeit nicht. Der BUND fordert auf allen BSR-Höfen Annahmestellen für potenzielle Secondhandware und einen systematischen Check der nicht abreißenden Müllströme auf gut Erhaltenes. Wenn sich die Recyclinghöfe zu Wiederverwendungszentralen wandeln, könnte man mit den dort gesammelten Gütern mehrere Gebrauchtwarenkaufhäuser betreiben, mindestens eines pro Bezirk. Diese Aufgabe muss nicht zwingend die BSR übernehmen.
Umbauen
Gut gelegen ist die NochMall leider nicht. Dafür gibt das BSR-Gebrauchtwarenkaufhaus durch die Nachnutzung eines früheren Baumarkts ein zeitgemäßes Zero-Waste- Statement ab: Auch Gebäude müssen wiederverwendet werden. Das ist längst noch nicht Standard, wie etliche aktuelle Beispiele zeigen. Vor allem aus dem Abriss entstehende Bauabfälle stellen mit Abstand die größte Fraktion beim Müll; das Recycling ist vorwiegend ein Downcycling, bei dem ehemals hochwertiges Material größtenteils zu Füllmasse für den Straßenbau wird, sodass eine dritte Nutzung ausgeschlossen ist.
Dazu kommt die graue Energie, die in die Errichtung eines Hauses geflossen ist und verloren geht, wenn es abgerissen wird. Der BUND unterstützt deshalb die Forderung mehrerer Architektenkammern nach einem Abrissmoratorium. Ob Wohn- oder Gewerbebau: Der Bestand soll saniert, umgebaut und wenn nötig aufgestockt werden. Das schafft zusätzlichen Wohnraum, schont das Klima und lässt mehr von der Stadtnatur übrig.
Dieser Artikel erschien in der BUNDzeit 23-4. Mehr zum Schwerpunktthema Secondhand:
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