Foto: BUND Berlin/Nicolas Šustr
Berlin, 3. April 2025: Auto-Lobbyisten hassen diesen Trick: Fällt eine stark genutzte Straßenverbindung plötzlich weg oder reduziert sich die Kapazität deutlich, dann verdunstet nach einer Eingewöhnungszeit der Autoverkehr wie von Zauberhand. Die Fahrten finden zu anderen Zeiten, auf anderen Wegen oder gar nicht mit dem Auto statt. 20 bis 40 Prozent weniger Autoverkehr sind in den letzten Jahrzehnten infolge vergleichbarer Sperrungen beobachtet worden. In Berlin ist das derzeit live am Autobahndreieck Funkturm zu verfolgen. Prägten zunächst außergewöhnlich lange Staus im Berufsverkehr die Situation nach der Sperrung der maroden Ringbahnbrücke, hat sich die Situation direkt auf A100 und A115 inzwischen wieder normalisiert.
Also weiterhin Stau und stockender Verkehr über längere Zeiten des Tages, allerdings liegen die verkehrsbedingten Verzögerungen beim Vorankommen auf den Autobahnen in etwa wieder auf dem langjährigen Niveau. Und das obwohl auf der A100 in Südrichtung eine von drei Spuren weggefallen und in Nordrichtung nur eine von drei Spuren noch übriggeblieben ist. Entfallen ist zudem die Überleitung von der Avus Richtung nördlichem Stadtring.
Im umgebenden Straßennetz hat sich die Verkehrsbelastung, insbesondere durch die Sperrung des A100-Abschnitts für den Schwerlastverkehr allerdings deutlich erhöht. Unter dem Strich hat sich der Auto- und Lkw-Verkehr jedoch in erheblichen Größenordnungen reduziert.
Dazu erklärt Gabi Jung, Geschäftsführerin des BUND Berlin: „Seit Jahrzehnten weiß die Verkehrswissenschaft: Autoverkehr ist keine Naturgewalt, sondern wird maßgeblich von der ihm zur Verfügung stehenden Infrastruktur stimuliert. Die Politik muss nun die richtigen Schlüsse ziehen. Aus unserer Sicht darf der anstehende Neubau der Ringbahnbrücke sowie des gesamten Autobahndreiecks Funkturm nicht in der bisherigen Dimension erfolgen. Mindestens eine Fahrspur pro Richtung muss künftig wegfallen. Das gilt auch für den anstehenden Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke. Perspektivisch muss die Fahrspurreduzierung auf der gesamten A100 und auch auf der Avus erfolgen.
Damit könnte nicht nur der Autoverkehr in Berlin deutlich reduziert werden. Auch würde der Finanzbedarf für Ersatzneubauten und Instandhaltung des Autobahnnetzes in Größenordnungen sinken. Das Geld und die Baukapazitäten werden dringend für die Instandsetzung und den Ausbau des Eisenbahn- und Nahverkehrsnetzes benötigt. Denn schon jetzt ist klar: Auch das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen reicht bei Weitem nicht aus, um Brücken, Schienen, Schulen, Universitäten in Deutschland wieder in tadellosen Zustand zu versetzen. An einer drastischen Reduzierung des Autoverkehrs führt kein Weg vorbei, um die nötige klimafreundliche Transformation umsetzen zu können. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen.“
In der öffentlichen Diskussion wird der Ausbaubedarf von Nahverkehrs-Hochleistungsinfrastruktur wie U- und S-Bahn oft massiv überschätzt, um alle Menschen befördern zu können, die derzeit mit dem Auto unterwegs sind. Benötigt wird ein flächenhafter Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur sowie der Straßenbahn auf starken Relationen.
Die Leistungsfähigkeit bestehender U-Bahn-Strecken zeigt das Rechenbeispiel von Frankfurter Allee und U5: Laut Angaben von 2019 sind auf der Frankfurter Allee täglich 45.000 Autos unterwegs, also pro Richtung 22.500. In der Spitzenstunde im Berufsverkehr ist davon laut Daumenregel der Verkehrswissenschaft etwa ein Zehntel unterwegs, also 2.250 Autos. Laut Umweltbundesamt von 2024 sitzen im Berufsverkehr durchschnittlich 1,1 Menschen in einem Auto. Das wären knapp 2.500 Menschen auf der Frankfurter Allee.
Ein U-Bahnzug auf der U5 kann rund 750 Menschen befördern – es bräuchte also nur vier zusätzliche Züge in der Spitzenstunde, um alle Autofahrer*innen mit der U-Bahn zu transportieren. Fahrplanmäßig fahren derzeit 13 Züge pro Stunde auf der U5, es bräuchte also weniger als ein Drittel zusätzliche Kapazität. In Takt umgerechnet: Statt alle 4 Minuten 40 Sekunden müsste alle dreieinhalb Minuten ein Zug fahren. Dafür bräuchte es nur mehr Züge und Fahrer, aber keinerlei Ausbauten an der U-Bahn-Infrastruktur.
Kontakt:
Gabi Jung, Geschäftsführerin BUND Berlin: 0178-631 00 32, jung(at)bund-berlin.de