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Mobilitätswende in Berlin

Abschied von der Autostadt! Mehr Busse, neue Tram- und S-Bahnstrecken, Ausbau der Fahrradinfrastruktur, Barrierefreiheit und Verkehrsberuhigung sowie Absage an die A100-Verlängerung über den Treptower Park hinaus sind gute Ansätze, reichen aber nicht für eine wirkliche Verkehrswende.

Mobilitätsleitbild 2035

Aufbauend auf dem Mobilitätsgesetz und dem Stadtenwicklungsplan Mobilität und Verkehr (StEP MoVe) muss Berlin ein konkretes Mobilitätsleitbild für eine klimaneutrale und stadtverträgliche Mobilität im Jahr 2035 entwickeln (in Verbindung mit der Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie und der Weiterentwicklung des Berliner Energie- und Klimaschutzkonzepts). Um die Berliner*innen für den Umstieg auf eine nachhaltige und klimaneutrale Mobilität zu gewinnen, bedarf es konkreter und verbindlicher Zielvorstellungen für eine klimaneutrale Mobilität in den einzelnen Teilräumen der Stadt sowie im Umland. Notwendig ist ein offener und breiter Diskurs der Stadtgesellschaft, wie die Mobilität in der Stadt in Zukunft klimaneutral und sozialverträglich gestaltet, die Finanzierung eines attraktiven Umweltverbundes gesichert und dem Autoverkehr die Beanspruchung knapper und wertvoller Ressourcen preislich angelastet werden können (Parkplätze im öffentlichen Raum, knapper Straßenraum, Klimabelastung etc.). Ebenso ist zu klären, wie innovative Mobilitätsangebote gezielt gefördert werden und besser mit den vorhandenen Angeboten vernetzt werden können. Dies umfasst auch die Entwicklung klarer und tragfähiger Spielregeln für Sharing-Angebote, die zu einer Reduzierung des Autoverkehrs beitragen müssen.

Klimaneutraler Lieferverkehr

Für einen klimaneutralen Lieferverkehr muss in Kooperation mit Lieferdiensten, Mobilitätsdienstleitstern und der Berliner Wirtschaft eine Gesamtstrategie erarbeitet werden, um durch zielführende Kooperations- und Logistiklösungen die Anzahl an Fahrten sowie Fahrzeugen und die Fahrzeuggrößen wirksam reduzieren zu können. Dadurch kann auch die Sicherheit für alle anderen Verkehrsteilnehmer*innen deutlich erhöht werden.

Zügiger Ausbau des ÖPNV und Sicherung seiner Finanzierung

Der Ausbau des ÖPNV, insbesondere der Straßenbahnen und der Schienenstrecken, sind durch Bereitstellung der notwendigen Planungs- und Investitionsmittel, effizientere und besser strukturierte Planungsprozesse sowie eine frühzeitige Einbindung der Stadtgesellschaft deutlich zu beschleunigen. Für alle im Nahverkehrsplan enthaltenen lnfrastrukturprojekte ist dazu binnen eines Jahres eine zusammenfassende Konfliktanalyse vorzulegen, um zügig Lösungen zu finden. Der Stand der einzelnen Projekte ist - entsprechend der Machbarkeitsstudien zu den Radschnellverbindungen - transparent aufzubereiten und regelmäßig zu aktualisieren.

Bei den Straßenbahnen müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, in der neuen Legislaturperiode zügig mit der Realisierung der bereits im Koalitionsvertrag 2016 verankerten Strecken (Sofort-Maßnahmen der Stufen 1 und 2) zu beginnen (s. Forderungen des Bündnisses Pro Straßenbahn).

Bei den Schienenstrecken ist der Aus- und Neubau der Schieneninfrastruktur (Trassen und Bahnhöfe) im Zuge des Bahn-Ausbau-Programms I 2030 konsequent voranzutreiben, dabei sind die Anforderungen für einen leistungsfähigen Güterverkehr zu berücksichtigen. Zudem müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass im S-Bahn- und Regionalverkehr eine deutliche Verdichtung der Takte möglich wird, ausreichende Kapazitäten bereitgestellt werden und ein stabiler Fahrplanbetrieb gewährleistet wird.

Ein Ausbau des Streckennetzes der U-Bahn ergibt hingegen - bis auf Lückenschlüsse wie zum Mexikoplatz - weder klimapolitisch noch finanziell Sinn. So ist z.B. eine Anbindung des BER über eine Verlängerung der U 7 schon deshalb nicht geboten, da ein weiterer Anstieg des Luftverkehrs nicht mit den Klimazielen vereinbar ist und der BER vergleichsweise gut durch den ÖPNV erschlossen ist.

Für die Finanzierung des Ausbaus und des Betriebes des ÖPNV ist ein langfristiges Finanzierungskonzept zu entwickeln. Zur Finanzierung insbesondere des Ausbaus des ÖPNV bietet es sich an, Einnahmen aus "Knappheitspreisen" für den Autoverkehr (Parkraum, Straßennutzung) zweckgebunden zu verwenden. Bei den ÖPNV-Tarifen bedarf es primär nicht einer Entlastung von Vielfahrenden wie z.B. Pendler*innen mit regelmäßigen Arbeitseinkommen (für die es mit dem Firmenticket bereits ein attraktives, wenn auch ausbaufähiges Angebot gibt). Notwendig sind vor allem attraktivere Angebote für Berliner*innen, die nur wenige Tage im Monat längere Wege im Stadtgebiet zurücklegen und derzeit mit vergleichsweise hohen Fahrpreisen konfrontiert sind.

Kein weiterer Ausbau des Straßennetzes für den Autoverkehr

Die Planungen für Erweiterungen des übergeordneten Straßennetzes müssen schon deshalb aufgegeben werden, weil sie unnötig Finanzmittel binden und bei einer erfolgreichen nachhaltigen Mobilitätspolitik nicht mehr notwendig sind. Zudem sind sie z.T. mit massiven Eingriffen in bestehende Stadtstrukturen und Grünflächen sowie mit einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden. Nicht weiterzuverfolgen sind u.a. A100 (17. BA), Tangentiale Verbindung Ost (TVO), Süd-Ost-Verbindung (SOV), Ortsumfahrung Malchow, Straße von Karow zur B2, Nordtangente Köpenick etc.

 

Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur

Die Prozesse zur Planung und zum Bau von Radinfrastruktur müssen verbessert und beschleunigt werden. Der Entwurf des Radverkehrsplans ist auf Basis der Rückmeldungen der Bezirke und Verbände zügig fertigzustellen und zu verabschieden. Das Instrument der Pop-Up­ Radwege sollte beibehalten werden, um zügig sichere Radverkehrsverbindungen herzustellen. Gemeinsam mit Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in den Wohngebieten muss insbesondere die Ausweisung von Fahrradstraßen mit hoher Priorität vorangetrieben werden. Sichergestellt werden muss, dass der Ausbau der Radinfrastruktur (insb. Vorrangrouten und Radschnellverbindungen) nicht zu Lasten des Stadtgrüns, des Artenschutzes und der Erholungsqualität gehen, dazu sind geplante Standards für die Radinfrastruktur im Konfliktfall anzupassen.

Parkraumbewirtschaftung ausdehnen und Parkplätze im öffentlichen Raum reduzieren

Die Parkraumbewirtschaftung muss in der neuen Legislaturperiode auf alle Gebiete innerhalb des S-Bahn-Rings und die verdichteten Kieze der „Äußeren Stadt" ausgedehnt werden, dabei sind die bundesrechtlich gegebenen Spielräume für eine Erhöhung der Parkgebühren und Anwohner*innen-Parkausweise konsequent zu nutzen.

Um die Straßenflächen zu Gunsten des Umweltverbundes, der Aufenthaltsqualität und des Stadtgrüns, ebenso aber auch des Wirtschafts- und Lieferverkehrs, von Sharing-Angeboten sowie Parkraum für mobilitätseingeschränkte Menschen neu zu verteilen, muss die Zahl der Parkplätze für private Pkw im öffentlichen Raum über ein aktives Parkraummanagement deutlich gesenkt werden (Abbau von 60.000 Kfz-Parkplätzen pro Jahr).

Verkehrsberuhigung

Bis auf Bundesebene die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerhalb von Städten festzulegen, muss Berlin konsequent auf allen Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 einführen, auf denen dies aus Gründen der Verkehrssicherheit, des Lärmschutzes und der Luftqualität heute schon möglich ist.

Die Bezirke müssen dabei unterstützt werden, den Durchgangsverkehr durch Wohngebiete durch Maßnahmen der Verkehrsberuhigung wirksam zu vermindern (z.B. durch Kiezblocks). Damit einhergehend ist durch den Abbau von Parkplätzen in Wohngebieten mehr Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, für Begegnung, Spiel und Bewegung, für mehr Bäume, Stadtgrün und die dezentrale Versickerung von Niederschlägen zu schaffen. Die Beantragung und Durchführung von temporären Spiel- und Nachbarschaftsstraßen ist für Anwohner*innen­-lnitiativen zu vereinfachen und zu unterstützen.

Mobilitätsbildung und schulisches Mobilitätsmanagement

Der Senat muss umfassende Fort- und Weiterbildungsangebote zur Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung für Erzieher*innen, Lehrer*innen und Verkehrssicherheitsberater*innen der Polizei auf den Weg bringen. Dazu muss jeder Bezirk eine*n Schulberater*in für Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung mit mindestens 7 Stunden/Woche bekommen. Zudem müssen auch für Kitas Berater*innen für Mobilitätsbildung eingesetzt werden.

Die Jugendverkehrsschulen (JVS) sollen zu Zentren der Mobilitätsbildung ausgebaut werden. Sie sollen so ausgestattet werden, dass Angebote für unterschiedliche Zielgruppen möglich sind und pädagogische Fachkräfte dort Anregungen für ihre Arbeit bekommen sowie Fortbildungen zur Mobilitätsbildung durchgeführt werden können. Dazu muss an den JVS pädagogisch qualifiziertes Personal fest angestellt werden. In den JVS müssen ausreichend Kapazitäten für Kitas zur Verfügung gestellt werden. Dies ist möglich, wenn ein Teil der Radfahrausbildung im Straßenverkehr durchgeführt wird. Dadurch werden die Kinder viel besser auf das Fahren im realen Verkehr vorbereitet.

Um die selbstständige und sichere Mobilität von Kindern zu fördern, muss der Senat für eine sichere Verkehrsinfrastruktur sorgen, vor allem im Umfeld von Kitas und Schulen. Dazu muss unter anderem Tempo 30, das bisher nur vor den jeweiligen Haupteingängen angeordnet ist, im Umfeld von Kitas und Schulen ausgedehnt werden. Regelverstöße wie Falschparken und Geschwindigkeitsüberschreitungen müssen konsequent geahndet werden.

Derzeit wird für Berlin ein Konzept zur Ausweitung von Schulischem Mobilitätsmanagement erarbeitet. Dieses muss an die guten Erfahrungen anknüpfen, die beim Pilotprojekt 2015/15 an der Reinhardswald-Grundschule gemacht wurden und diese zu einem  „Berliner Modell“ ausarbeiten. Das Besondere daran ist, dass alle Beteiligten an der Schule gemeinsam ein zur Schule passendes Programm erarbeiten, das die selbstständige und nachhaltige Mobilität der Schüler*innen stärkt. Neben Fragen der Infrastruktur ist die Einbindung in den Unterricht und die schulinterne Öffentlichkeitsarbeit, also vor allem die Ansprache von Eltern, unbedingt zu berücksichtigen. Jede Schule muss die Möglichkeit bekommen, mit Hilfe von kompetenter Unterstützung ihr individuelles Mobilitätskonzept zu erarbeiten, das zum jeweiligen Schulleben passt.

Luftverkehrskonzept Berlin-Brandenburg erstellen und den BER nicht ausbauen

Für Berlin und Brandenburg ist insbesondere unter Beachtung der Klimaziele und des Lärmschutzes für die betroffenen Anwohner*innen ein Luftverkehrskonzept 2035 zu erarbeiten. Ein weiterer Ausbau des Flughafens Berlin Brandenburg "Willy Brandt" (BER) ist mit den Klimazielen nicht vereinbar, vielmehr bedarf es einer Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schiene und einer Anlastung der Umwelt- und Klimakosten für den Flugverkehr. Zudem muss endlich auch am BER das Nachtflugverbot auf 22 bis 6 Uhr ausgeweitet und eine moderne Entgeltstruktur für laute Flugzeuge eingeführt werden: Die Lärmentgelte sollten in Ein-Dezibel-Schritten gestaffelt und so stark wie möglich gespreizt werden. Eine Lärmobergrenze, wie sie in Frankfurt diskutiert wird, muss sicherstellen, dass der Lärm auch bei einer wachsenden Zahl von Flugbewegungen durch Ausschöpfung des technischen Fortschritts nicht ansteigen.

Bilder

Intro: Philipp Blank, CC BY-SA 3.0 

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